: Den Muscheln geht es mies
Den Miesmuscheln im Wattenmeer droht das Aussterben. Es gibt aber noch Hoffnung: Das schleswig-holsteinische Umweltministerium will zur Rettung einen „Muschelfrieden“ umsetzen
Von Sven-Michael Veit
Die Miesmuschelbänke im schleswig-holsteinischen Wattenmeer stehen an der Grenze zum Aussterben. Das ist der Befund einer Studie des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung, auf Sylt im Auftrag der Umweltstiftung WWF. Demnach muss es Mitte des 20. Jahrhunderts zehnmal mehr Miesmuschelbänke im nordfriesischen Wattenmeer gegeben haben als gegenwärtig, wie die Meeresökologen Karsten Reise und Christian Buschbaum ermittelt haben.
„Mehrjährige wilde Miesmuschelbänke waren unter Wasser einst weit verbreitet, während sie heute praktisch nicht mehr zu finden sind“, erklärt Hans-Ulrich Rösner, Leiter des Wattenmeerbüros des WWF im nordfriesischen Husum.
Verantwortlich für den dramatischen Rückgang ist die langjährige intensive Befischung. „Die Miesmuschelfischerei verhinderte durch ihren hohen Bedarf an jungen Muscheln aus natürlichen Ansiedlungen bislang deren Weiterentwicklung zu mehrjährigen sublitoralen Miesmuschelbänken mit vielen Jahrgängen und einer artenreichen Lebensgemeinschaft“, heißt es in der begleitenden Pressemitteilung zur Studie.
Sublitoral bezeichnet flache Küstenbereiche, die jedoch bei Niedrigwasser nicht trockenfallen. In den Muschelbänken dieser Unterwasserbereiche sei die Artenvielfalt deutlich höher als im Watt, deshalb werde dort auch intensiver gefischt. Dadurch wiederum werde die Ansiedlung von Jungmuscheln erschwert und „die natürliche Dynamik solcher sublitoralen Miesmuschelbänke im Wattenmeer unterbrochen“, so Rösner.
Aber es gebe noch Hoffnung, glaubt er, wegen des 2015 von Fischereiverbänden, Meeresschützern und dem schleswig-holsteinischen Umweltministerium geschlossenen „Muschelfriedens“. Dieser soll für 15 Jahre die Grundlage der Muschelfischerei im Nationalpark sein und für alle Beteiligten Planungs- und Rechtssicherheit bieten.
Der Friedensvertrag sieht vor, dass die Fanggründe der Muschelfischer von 2.000 Hektar auf 1.700 Hektar reduziert werden. Auf 250 Hektar davon dürfen Netze installiert werden, an denen sich junge Muscheln ansiedeln und aufwachsen können, bis sie auf die Kulturfläche gebracht werden. Die Fischerei auf wild lebende Muscheln wird dafür auf vier Bereiche außerhalb der besonders geschützten Kernzonen des Nationalparks beschränkt. An natürlichen Riffen darf gar nicht mehr gefischt werden.
„Insgesamt betrachtet sollten es die heutigen ökologischen Bedingungen im Wattenmeer erlauben, dass sich Miesmuschelbänke wieder ausbreiten und ein hohes Alter erreichen“, sagt Rösner. Wegen der Dominanz der eingeschleppten größeren pazifischen Auster gebe es zwar nur noch wenig Raum für die Entwicklung reiner Miesmuschelbänke, die Miesmuscheln würden immer mehr zu „Untermietern im Austernriff“. Verschwinden aber würden sie aller Voraussicht nach nicht, so Rösner: „Miesmuscheln werden wohl nie wieder im Wattenmeer so dominieren wie vor Mitte des 20. Jahrhunderts. Sie können aber weiterhin eine bedeutende Rolle im Ökosystem des Wattenmeeres spielen.
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