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Treffen sich ein Russe, ein Dresdner und ein Flüchtling

Sergej Poteryaev zeigt in Kiel seine Fotos aus Dresden. Sie zeigen sozialen Wandel und die Flüchtlingsfrage

Von Frank Keil

Als Sergej Poteryaev endlich in Dresden war, warf er all seine Pläne über den Haufen. Beeindruckt und angeregt von den vielen Geflüchteten, denen er in Dresden begegnete, den Gesprächen und Kontroversen, die sie auslösten bis hin zu den schwer zu übersehenden, montäglichen Pegida-Demonstrationen in der Stadtmitte, beschloss er deren Dasein und Anwesenheit zum Thema zu machen.

„Es geht bei meiner Serie Insight aber nicht um die Flüchtlinge an sich, sondern um die Veränderungen, die in der Stadt und im sozialen Leben zu entdecken sind, seitdem sie in der Stadt sind“, sagt Poteryaev, „ich habe versucht, keine Position zu beziehen und neutral zu bleiben und die Dinge mit Abstand zu betrachten, damit der Betrachter selbst Stellung beziehen kann.“ Der Kunstverein K34 stellt seine Serie derzeit in Kiel-Gaarden aus.

Petryaev war vorher noch nie in Dresden. Er wusste nur, dass dort sein Präsident Wladimir Putin länger und geheimdienstmäßig gearbeitet hat (von 1985 bis 1990 nämlich) und dass Dostojewski hier zwei seiner Werke verfasste (den Roman „Die Dämonen“ und die längere Erzählung „Der ewige Gatte“). Trotzdem hatte er jede Menge Ideen im Kopf, was er während seines zwölfwöchigen Stipendiums der Stiftung Osterberg fotokünstlerisch umsetzen könnte. Als er schließlich in den Arbeitsräume in der ehemaligen Alte Feuerwache Loschütz und in Dresden ankam, mischten sich doch die Karten neu.

Vom Alltag abgetrennt

Fotografiert hat Poteryaev zunächst die von außen abgesperrten Flüchtlingsunterkünfte; für sich verhängt, vom städtischen Alltag abgetrennt; oft bereits wieder verlassen, so dass sie wie seltsam allein und schutzlos zurückgelassen wirken. Fotografiert hat er auch die bei ihm namenlos bleibenden Geflüchteten in ganz eigenen, fast schlafwandlerischen Posen, etwa bei einer gemeinsamen Wanderung in der Sächsischen Schweiz. Er lässt sie aus der Höhe herab in ein Tal schauen oder sie liegen in einer Felsnische.

Bei einem der Bilder muss einem einfach Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ einfallen. Er sagt: „Mittlerweile weiß ich, dass jede in Deutschland in diesen Fotos Caspar-David-Friedrich sieht, aber ich habe nicht daran gedacht, als ich sie aufgenommen habe; mir war diese Referenz nicht klar.“

Stilmittel: Nüchternheit

Poteryaev zeigt belustigt auf das Bild eines Pegida-Rentners, über dessen Bauch sich ein Shirt mit Putins Konterfei wölbt

Noch etwas fällt schnell auf: seine stillen, fast kargen Fotografien, ob von verhängten Zäunen zu einstigen Unterkünften oder den in sich gekehrten Flüchtlingen, die nicht preisgeben, aber uns sehr wohl assoziieren lassen, was sie innerlich bewegen könnte, kommen einem umgekehrt schnell vertraut vor. Und wenn man kurz nachdenkt, weiß man bald woher: von der Arbeiten der sogenannten Düsseldorfer Schule; von Bernd und Hilla Becher, von Boris Becker oder von Axel Hütte und Jörg Sasse. Tatsächlich hat sich Sergej Poteryaev während seiner Dresdner Residenzzeit durch diverse Fotobände jener Schule gewühlt. Und auf deren Stilmittel und Blickwinkel hat er anschließend aktiv zurückgegriffen: „Die Fotografie dieser Schule ist dabei persönlich gar nicht mein Lieblingsstil. Aber als professioneller Fotograf weiß ich, dass ich diese so nüchterne Art der Fotografie einsetzen muss, um mein Thema zu realisieren – so wie der Maler zum passenden Pinsel greift.“

Pegidas Badelaken

Bleiben noch die Aufnahmen von den Pegida-Demonstrationen, Poteryaev hat einige besucht, wenn es sich anbot. Und nun wird es ein wenig schwierig mit der Distanz und dem Abstand: „Sehr seltsame Leute“, sagt er kopfschüttelnd. Und: „Ich kann da nicht völlig neutral sein, denn diese Leute stehen für Ideen und Vorstellungen, gegen die mein Land einmal so sehr gekämpft hat.“ Er hofft dennoch, dass es Beobachterbilder geworden sind, man könne ihnen auf den Fotos ja ins Gesicht schauen. Wäre da nicht die russische Seite des Themas! Und er zeigt belustigt auf den Schnappschuss eines Pegida-Rentners, über dessen Bauch sich ein T-Shirt mit dem Konterfei Putins wölbt. „Es gibt aber auch Bilder, die zeigen, dass das Leben weitergeht“, sagt er schnell.

Am Rande der Demonstration sitzen Leute auf Stühlen und trinken in aller Ruhe Bier; jemand liegt ausgestreckt auf einer überdimensionalen Deutschlandfahne als wäre sie ein ganz normales Badelaken. Was sehr auffällig gewesen wäre: „Wie geordnet und konzentriert die Pegida-Leute gingen, sie haben zusammen ordentlich gesungen und dann die Antifa, die total chaotisch da stand.“

Vom Ural nach Kiel

Dass er nun Insight in Kiel-Gaarden ausstellt, hat mit noch einer anderen Art Künstlerbrücke zu tun. Sie erstreckt sich allerdings nun schon seit etwa vier Jahren immer mal wieder von Kiel oder Hamburg aus nach Jekatarinburg, nach Nischni Tagil und nach Krasnodar. Also in drei Industriestädte im Schatten des Urals. Auch der Kopf des K34, Detlef Schlagheck, hat jüngst im Rahmen der Ural-Bien­nale ausgestellt. „Es sind mittlerweile unter den russischen und deutschen Künstler gute Freundschaften entstanden und wir laden uns gerne gegenseitig ein“, sagt Schlagheck.

Man bildet etwa die Künstlergruppe „Quarantäne“, stellt zusammen aus, schaut sich untereinander kritisch mit Gewinn über die Schulter: „Wenn man mal auf seine eigene Kunst schauen und sie definieren will, dann ist es immer hilfreich, wenn man auf jemanden aus einem anderen Kulturkreis trifft, der noch mal anders auf die Dinge schaut und ganz andere Fragen stellt“, sagt Schlagheck. Seine Erfahrung: „In Russland herrscht einerseits eine große Aufbruchstimmung, andererseits muss die zeitgenössische Kunst gerade gegenüber der akademischen Lehre aus den amtlichen Kunsthochschulen noch richtig verteidigt und erklärt werden.“ Hierzulande seien die Leute doch recht müde – nach dem Motto: „Kann ich nichts mit anfangen, regt mich aber auch nicht auf.“

Langeweile auf russisch

Poteryaev kennt das: Zwischenzeitlich zurück in Russland, zeigte er die Serie in seiner Heimatstadt. Sie stieß auf recht wenig Resonanz. Was ihn persönlich nicht groß gekränkt, aber noch einmal die Differenz zwischen den deutschen und russischen Fotografie-Welten hat spüren lassen: „Unsere visuelle Kultur ist eine ganz andere.“ Was Resultat geschichtlicher Entwicklungen sei: „In der Sowjetunion hat man die Fotografie als Kunstform lange unterdrückt, und so gibt es auch im heutigen Russland eine anhaltende Polemik, ob Fotografie überhaupt als Teil der bildenden Kunst anzusehen ist.“

Er weist noch mal auf seine stillen Porträts: Ausschnitte von Zäunen und verhängten Absperrgitter. „Und diese langweilige, europäische, bei euch so anerkannte Fotografie der Düsseldorfer ruft bei uns noch mehr Zweifel hervor, ob wir hier überhaupt auf Kunst schauen. So sind unsere Länder nicht nur in dieser Sache sehr unterschiedlich.“

Die Ausstellung endet am 9. 11., K34, Elisabethstr. 68A, Kiel-Gaarden

Für Übersetzungen dankt der Autor Eugenia Bakurin

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