: Merkel und May im Duett
Auf ihrem Herbstgipfel in Brüssel schafft es die EU, keine Beschlüsse zu fassen, mit denen Berlin und London nicht leben können. Als Konsensthema bleibt nur die Flüchtlingsabwehr übrig
Aus Brüssel Eric Bonse
Die Europäische Union muss auf Großbritannien warten – und auf Deutschland. Dies machte Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Schluss des EU-Herbstgipfels in Brüssel klar. Wegen der laufenden Verhandlungen über eine „Jamaika“-Koalition in Berlin könne sie sich in Streitfragen wie der Euro-Reform oder der Flüchtlingspolitik noch nicht festlegen.
Sie habe ihre EU-Partner darauf verwiesen, „dass wir in Deutschland jetzt natürlich in Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen sind“, so Merkel. Es bedürfe deshalb „auch in den kommenden Wochen des Respekts vor der Regierungsbildung“. Vor allem FDP-Chef Christian Lindner hatte die Kanzlerin vor Festlegungen gewarnt. Auch die Grünen wollen in der Europapolitik mitreden.
Allerdings wurden die Forderungen der Grünen beim Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs in mehreren Fragen übergangen. So legte sich Merkel nicht – wie noch im Wahlkampf versprochen – auf ein Ende der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei fest. Stattdessen warb sie lediglich für eine Kürzung der Finanzhilfen an Ankara. Ein verbindlicher Beschluss wurde dazu in Brüssel aber nicht gefasst. Es wurde lediglich die EU-Kommission beauftragt, eine Kürzung zu prüfen.
Umso deutlicher sind die Festlegungen im Bereich der Flüchtlingspolitik. So legten die 28 EU-Staaten „ein uneingeschränktes Bekenntnis zu unserer Zusammenarbeit mit der Türkei auf dem Gebiet der Migration“ ab. Sie sprachen sich auch für „verstärkte Rückführungen“ von unerwünschten Flüchtlingen aus, und zwar „sowohl auf EU-Ebene als auch auf Ebene der Mitgliedstaaten“.
Dies ist in Berlin umstritten; die Grünen haben eine Abkehr von dieser Politik gefordert. Merkel nahm darauf in Brüssel jedoch keine Rücksicht. Mehr Glück hat die FDP. Denn der Kanzlerin gelang es – nach Absprache mit EU-Ratspräsident Donald Tusk – die Debatte zur Finanzpolitik und zur Reform der europäischen Währungsunion auf die lange Bank zu schieben und Entscheidungen zu vermeiden.
Zwar soll es schon beim nächsten EU-Gipfel im Dezember eine erste Aussprache zur Euro-Reform geben. Beschlüsse sind aber erst im Juni 2018 geplant. Dies ist ein empfindlicher Dämpfer für Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron. Der Franzose hatte im September weitreichende Vorschläge für die Reform der Währungsunion vorgelegt. So fordert er einen EU-Finanzminister und ein Euro-Budget.
Mit Letzterem stößt Macron aber bei Teilen der Union und der FDP auf Ablehnung, die den Einstieg in eine „Transferunion“ fürchten. Merkel ist es nun gelungen, den ungestümen Franzosen auszubremsen. Macron sprach nach dem EU-Gipfel dennoch von einem „Reform-Momentum“. Zugleich warnte er davor, Reformen mit dem Argument zu blockieren, dass man die Einheit der EU nicht gefährden dürfe.
Mehr Ehrgeiz forderte Macron auch von Großbritannien, das sich auf dem Weg heraus aus der EU befindet. „Wir haben den Weg heute noch nicht zur Hälfte geschafft“, sagte er mit Blick auf die stockenden Brexit-Verhandlungen. „Auf finanziellem Gebiet bleibt noch eine große Anstrengung zu tun“, betonte Macron. Es gehe nicht nur um das EU-Budget der Jahre 2019 und 2020, zu dem London bereits seine Beiträge zugesagt hat, sondern auch um weiterreichende Zahlungsverpflichtungen. Über diese gibt es mit Großbritannien keine Einigkeit.
Wesentlich wohlwollender äußerte sich Merkel zum Thema Brexit. Sie wolle nicht über die Abschlussrechnung spekulieren, sagte sie. Ausdrücklich lobte sie den Vorschlag der britischen Premierministerin Theresa May, nach dem britischen EU-Austritt im März 2019 eine zweijährige Übergangsphase einzuführen. Das sei „ein interessante Idee“, so Merkel. Zuvor hatten Merkel-Berater auch andere Vorschläge aus London gelobt.
Allerdings reichen auch Merkel die bisher erreichten Ergebnisse der Brexit-Gespräche nicht aus. Der eigentlich für Oktober geplante Start der zweiten Verhandlungsphase wurde daher auf den nächsten EU-Gipfel im Dezember verschoben. Ob bis dahin auch die Geldfragen geregelt werden können, bleibt unklar. May deutete vor ihrer Abreise aus Brüssel an, dieses besonders heikle Thema erst ganz am Ende klären zu wollen.
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