Das fabulöse Wechselspiel

Das dänische Post-Jazz-Quintett Girls in Airports spielt auf dem Album „Live“ mit Dub und EDM, aber auch brasilianischer Rhythmik und der Pentatonik Äthiopiens

Die fünf vom Flughafen: Girls in Airports Foto: Laerke Posselt

Von Ole Schulz

Ein Saxofon kreischt und röchelt wie ein Didgeridoo, bevor es eine sanfte Melodie anstimmt. Begleitet wird sie von vorsichtig gesetzten, wie Downbeats in Zeitlupe anmutenden Bässen. Zwischendurch scheint sie sich im Nichts zu verlieren. „Need a Light“ ist ein ebenso ergreifender wie typischer Song der Band Girls in Airports. Viele ihrer Stücke beginnen mit einem melodiösen Ostinato, gefolgt von einer feinsinnigen, bedächtig rhythmischen Begleitung.

Auch der Einstiegssong „Kantine“ setzt mit einer gemächlichen Melodielinie ein, dann steigern sich die Bläser in ein dissonantes Crescendo, steuern wie bei einem Techno-Track auf einen Höhepunkt zu, der immer weiter hinausgezögert wird. Is that Jazz? Daher kommen die fünf jungen Männer von Girls in Airports aus Kopenhagen jedenfalls. Nur haben sie sich seit der Bandgründung 2009 weiterentwickelt, und man kann die Musik auf ihrem fünften, live auf drei Deutschland-Konzerten im Frühjahr aufgezeichneten Album eher als Post-Jazz oder als Outernational Urban Sound bezeichnen.

Ihnen gehe es einzig und allein darum, gegenwärtig zu sein und zeitgenössische Musik zu machen, heißt es von der dänischen Band. Und das kann man heutzutage natürlich auch, wenn man in einer eher beschaulichen Metropole wie Kopenhagen ansässig ist, einer Stadt, die den Ruf hat, weltoffen und experimentierfreudig zu sein. Kennengelernt haben sich die mittlerweile Mittdreißigjährigen vor über zehn Jahren am Kopenhagener Rytmisk Musikkonservatorium. Und wenn sie nicht gerade auf Tournee in Europa oder Übersee sind, leben die Musiker von Girls in Airports in Nørrebro, einer Art Kreuzberg Kopenhagens, wo sie ihren Proberaum jahrelang neben dem Superkilen hatten, dem von Künstlern ganz in Rot gestalteten Platz des Viertels. Mit dem Fahrrad wohnen sie alle nur fünf Minuten voneinander entfernt.

Charakteristisch für die Girls in Airports ist das fabulöse Wechselspiel zwischen zwei Instrumenten-Duetten: auf der einen Seite die Bläser mit Martin Stender und Lars Greve (Saxofon und Klarinette), die oft leicht versetzt zueinander spielen; auf der anderen die Rhythmussection mit Victor Dybbroe (Perkussion) und Mads Forsby (Drums). Dazwischen sitzt Keyboarder Matthias Holm, der die vielfältigen Möglichkeiten von Wurlitzer-Orgel und Fender Rhodes dezent einsetzt und auch noch den Basspart übernimmt. In ihrer Musik tauchen Dub-Elemente, brasilianische Rhythmen und die pentatonische Tonleiter der äthiopischen Musik genauso auf wie Anklänge an Ambient und EDM, aber auch repetitive Grooves, die an Indie-Bands wie Tortoise erinnern.

Dass man nach vier Longplayern nun ein Live-Album eingespielt habe (unter den zwölf Stücken sind vier neue Kompositionen), sei nur folgerichtig, sagt Martin Stender. Er liefert einen Großteil der Ideen, betont aber auch, dass diese dann kollektiv weiterentwickelt würden. „Viele der Songs haben sich stark verändert, seitdem wir sie zum ersten Mal gespielt haben. Da machte es Sinn, ein Live-Album aufzunehmen, das dies dokumentiert.“

Die Girls in Airports seien im Grunde ohnehin eine „altmodische Live-Band“, sagt Stender. Bei Konzerten könne man in Kontakt mit dem Publikum treten, und die Live-Auftritte ermöglichen der Band „wirklich zusammenzukommen“ und „freier zu spielen“. Wenn dann auch noch die Zuschauer mitmachen, entstehe eine besondere „elektrische Energie“. Auf ihrem neuen, schlicht „Live“ betitelten Album, das großteils in der Berliner Kantine am Berghain aufgenommen wurde, ist das zweifellos gelungen. Auch wenn da im Hintergrund schon mal Gläser klirren und Zuschauer hüsteln, spürt man, wie gebannt und konzentriert das Publikum ihnen lauscht.

Songs wie „ADAC“ und „Migration“ sind nervös und wühlen auf, bevor die Musik wieder in beruhigende, entschleunigte Bahnen gelenkt wird und in Stücken wie „Fables“ und „King’s Birthday“ Momente von universeller Harmonie erzeugt. Wenn man das ganze Girls-in-Airports-Album auf einmal durchhört, kommt es einem anschließend vor, als ob man einen Tag aufregenden großstädtischen Lebens hinter sich hat, mit all seinen Aufs und Abs, Freuden und Zumutungen. Nur, dass man sich jetzt trotzdem irgendwie viel entspannter fühlt.

Girls in Airports: „Live“ (Edition Records/Mem­bran). Konzerte: 28. 10. domicil, Dortmund; 29. 10. Pension Schmidt, Münster; 30. 10. Scope Festival/Prince Charles, Berlin