Gergely Márton über Rassismus in Ungarn: Orbáns Auswandererproblem
Viktor Orbáns Hetze gegen Einwanderer hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Eigentlich sollte es am Montag, dem Nationalfeiertag Ungarns, um die Revolution von 1956 gehen. Doch statt die Helden der Vergangenheit zu ehren, sprach Orbán – wie so häufig – über sich selbst, den vermeintlichen Helden der Gegenwart. Zu den eigenen Erfolgen zählte der Ministerpräsident in seiner Rede stolz, dass Ungarn „migrantenfrei“ sei. Subtil biederte er sich damit den ungarischen Skinheads an, die einmal sangen, das Land werde „zigeunerfrei“. Außerdem warnte Orbán vor einer bevorstehenden „Apokalypse“, die natürlich nur er allein aufhalten könne.
Dabei hat Ungarn gar kein Problem mit Einwanderern, sondern mit Auswanderern. An Wochenenden kann man das beobachten. Dann reisen viele Arbeitsmigranten heim nach Ungarn. Sie kommen zurück aus österreichischen Gasthäusern und hessischen Baustellen, um ein paar Stunden mit ihren Familien verbringen zu können. Eine halbe Million Ungarn hat dem Land den Rücken gekehrt. Jeder zehnte Arbeitsfähige ist selbst Migrant und arbeitet außerhalb des Landes. Innerhalb Europas ist in Ungarn die Bereitschaft der Jugendlichen am höchsten, ihre Heimat zu verlassen.
Das hat nichts mit muslimischen Flüchtlingen zu tun – sondern mit Viktor Orbán. Er nimmt seinem Volk die Freiheit. Die Ungarn laufen weg, weil sie in ihrem Heimatland aus eigenem Antrieb nicht vorwärtskommen. Die Vertrauten des Ministerpräsidenten haben ein neues Vasallentum aufgebaut. Um im Land als Unternehmer, Künstler, Lehrer oder Medienschaffender Berufschancen zu haben, muss man ihnen Treue schwören – oder man wird an den Rand gedrängt. Orbán selbst regiert eisern und gefährdet die Zukunft seines Landes. Nach der Rede am Montag verinnerlichten viele junge Ungarn, dass Orbán mit seinen Wahnvorstellungen und seinem offenem Rassismus auch ihnen die Zukunft raubt. Sie spüren, dass es keinen anderen Ausweg gibt, außer wegzuziehen. Das ist die eigentliche Apokalypse für Ungarn.
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