: Ein heller Platz vor einer dunklen Welt
Wie geht man mit einem Wehrmachtsbunker am Strand und seiner Geschichte um? Auf Jütland fanden Architekten aus Kopenhagen eine ansprechende Museumsdramaturgie
Von Klaus Englert
Das Tirpitz-Museum an der Westküste Jütlands konnte kürzlich verkünden, man habe in den beiden Sommermonaten nach der feierliche Eröffnung im Juni fast 100.000 Besucher gezählt und sei nun das bestbesuchte dänische Museum. Wohlgemerkt, Publikumsmagnet ist nicht das Staatliche Kunstmuseum in der Hauptstadt Kopenhagen, sondern das nach dem deutschnationalen Politiker und Admiral Alfred von Tirpitz benannte Bunker-Museum im kleinen Ferienort Blåvand, rund zwei Autostunden vom deutschen Grenzort Niebüll entfernt.
Auf 200 Einwohner kommen in Blåvand 2.000 Ferienhäuser. Hier setzt man auf das eigene Auto und nicht auf den öffentlichen Nahverkehr. Damit wird man wohl klarkommen müssen, nachdem Blåvand als ein Ort für Sommerfrischler wie für Geschichts- und Architekturbesessene gleichermaßen attraktiv geworden ist.
Selbst in den Herbstmonaten erstaunt die einzigartige Mischung aus Land-Art, Kultur- und Geschichtszeugnis, die das Kopenhagener Team der Bjarke Ingels Group (BIG) in den Naturpark direkt angrenzend an Nordsee und deutschen Wehrmachtsbunker gebaut hat. Die Anziehungskraft des neuen Tirpitz-Museums liegt in dem spannungsvollen Kontrast, den die Dänen im Umgang mit der militärischen Wehrhaftigkeit wählten. Während die verbleibenden Wehrmachtsbunker am dänischen Nordseestrand eine unübersehbare Präsenz besitzen, zielte BIG auf das genaue Gegenteil. Die Kopenhagener Architekten wollten den Erweiterungsbau möglichst unauffällig erscheinen lassen und entschlossen sich, das Museum einfach einzugraben.
Zwischen Heidekraut und Festungsmauern
Dabei stellten sich für die Architekten gleich mehrere Fragen: Wie mit der heiklen Geschichte umgehen? Welche architektonische Gestalt ist gegenüber der Umgebung am respektvollsten? Wie weit kann die Distanz zum monumentalen Betonbunker ausgereizt werden? Welche Materialien passen sich am besten einer Umgebung an, die von Sanddünen, Heidekraut und massiver Festungsarchitektur geprägt ist? Und wie lässt sich der bestehende Tirpitz-Bunker, der bereits 1991 in ein Museum umgewandelt wurde, in den Neubau integrieren?
Bjarke Ingels spricht von „Einschnitten“, die er in die Dünenlandschaft getrieben hat. Tatsächlich handelt es sich um die zueinander leicht versetzten Linien eines Kreuzes, die sich im Kreuzungspunkt zu einer „Lichtung“ vereinen, einem Patio, der jedem Besucher oder Nichtbesucher offensteht. Die vier Einschnitte wurden, analog zur Bunkerarchitektur, als Rampen entworfen, die in diesem Fall aber nicht ins hermetisch abgeschirmte Innere, sondern zu einem offenen Platz führen, der die Museumsbesucher weiter in die jeweiligen Galerieräume geleitet.
Wer den Innenhof betritt, nimmt den Außenraum als auf- und absteigende Dachlandschaft wahr, als eine dramatische architektonische Inszenierung, die sich in den Innenräumen fortsetzt. An dieser Stelle wird die von Ingels behauptete „Antithese zum Wehrmachtbunker“ greifbar. Die Museumsdramaturgie schleust den Besucher, der erwartungsvoll die Rampen durchschreitet und den Innenhof erreicht, in die tageshellen Ausstellungsbereiche, die durch großzügig verglaste Schnittflächen einen ständigen Außenkontakt wahren.
Bereits der Weg ins Gebäudeinnere verdeutlicht, dass BIG durch die reduzierte Materialpalette aus Sand, Kiefer, Stahl, Beton und Glas das Atmosphärische der Architektur zu steigern vermag. Das Entree besteht einfach aus einer Stahlbrücke, die, vorbei am Café, über eine schräg verlaufende Stahltreppe hinab in die Galeriebereiche führt. Das hat etwas von expressionistischer Filmarchitektur, die auf surprise setzt. Zudem verändern metallene Schiebewände das Raumgefühl: Sie regeln die Übergänge zwischen den vier Ausstellungsbereichen, sie trennen die Räume voneinander ab oder führen sie zusammen. Auf diese Weise können in dem Museum, das über 2.800 Quadratmeter Grundfläche verfügt, auch größere Veranstaltungen stattfinden.
Im Tirpitz-Museum ist der Besucher gefordert, das Ensemble aus Alt und Neu von allen Seiten, von innen und außen, von oben und unten zu erkunden und dabei neue, ungewohnte Perspektiven zu entdecken. Und wie steht es um das Ausstellungsdesign? Das Utrechter Büro Tinker Imagineers hat die sensible Aufgabe bravourös gelöst, denn die Raumgestaltung fügt sich bestens zur baulichen Hülle und zur lokalen Kriegsgeschichte. So finden sich im sogenannten „Histolarium“ einige Wehrmachtsbunker rekonstruiert, in denen persönliche Geschichten aus der Besatzungszeit dokumentiert werden. Beispielsweise die Geschichte eines dänischen Bunkerexperten, der sein Wissen an die Wehrmacht weitergab und trotzdem Pläne an die dänische Résistance lieferte.
Erstmalig wurde für das dänische Museum ein digitaler Audioguide eingesetzt, ein benutzerfreundliches und informatives Medium, das andere Besucher nicht stört. Da erfährt man, dass die Wehrmacht an der jütländischen Küste vor Blåvand insgesamt zwanzig Bunker bauen wollte, um den Hafen von Esbjerg gegen die alliierten Kriegsschiffe zu sichern. Doch dazu kam es nicht. Der Tirpitz-Granatbunker, der erst im September 1945 fertig gestellt werden sollte, bleibt wohl für immer unvollendet. Wer den lichten Erweiterungsbau hinter sich lässt und den unterirdischen Tunnel durchquert, gelangt plötzlich in eine andere Welt: Hier ist alles dunkel, stickig, feucht und beklemmend. Ein Ort, absolut nah und doch fern von den sommerlichen Strandfreuden.
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