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„Es gibt eine Renaissance“

Jahman Oladejo Anikulapo kämpft um mehr Aufmerksamkeit für die vielfältige Literatur Nigerias

Kumi, Uganda: Eine Mutter liest ihren Kindern vor Foto: Sven Torfinn/laif

Interview Katrin Gänsler

taz am wochenende: Herr Anikulapo, Nigeria ist für Schriftsteller wie Wole Soyinka und Chinua Achebe bekannt. Aber wie sieht es mit junger nigerianischer Literatur aus?

Jahman Oladejo Anikulapo: Die nigerianische Literatur erlebt eine Renaissance. Als ich in der Schule war, hatten wir nur drei bis fünf Autoren als Referenz. Doch in den Jahren, in denen ich mit meiner Ausbildung fertig wurde, passierte etwas an den Universitäten, das in Verbindung mit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung stand. Nigeria erlebte 1986 eine Rezession. Gleichzeitig explodierten kulturelle Aktivitäten.

Welchen Einfluss hatte das auf die Literatur?

Ich studierte damals Theaterwissenschaften und erinnere mich an einen Dozenten, der jeden Donnerstag zu einer Lyrikgruppe einlud. Es mussten gar keine guten Gedichte sein, aber wir haben einfach angefangen zu schreiben. In den 1980er Jahren brach die nigerianische Literatur aus ihrer monopolistischen Struktur aus.

Hat sich diese Entwicklung in den vergangenen 30 Jahren fortgesetzt?

Seitdem haben junge und ältere Autoren quasi alle Preise gewonnen. Deswegen erleben wir diese Renaissance. Das hat wiederum die Filmindustrie, Mode und Musik inspiriert. Nigerianische Literatur ist also sehr lebendig, und sie profitiert von Kontakten nach Europa und in die USA.

Dennoch haben Schriftsteller Schwierigkeiten, Verleger für ihre Romane zu finden.

Das stimmt. 1991 gründeten wir das „Komitee für relevante Kunst“, in dem wir uns im Wesentlichen mit Literatur befassten. Alle drei Monate brachten wir junge Menschen zusammen, die aus ihren Texten lesen sollten. Doch danach geschah nichts, weshalb wir 1999 das Lagos Buch- und Kunstfestival ins Leben riefen. Dahinter stand die Idee, junge Schriftsteller zu unterstützen und eine Verlags­industrie zu schaffen.

Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Auch hier blockierte die Wirtschaftskrise alles. Es gab beispielsweise schon eine Buchmesse, die größte des Kontinents, die wir aber an Harare, die Hauptstadt Simbabwes, verloren haben. Es gab Verlage, die aber schließen mussten, weil sie keinen Gewinn machen konnten. Dieses Problem gibt es bis heute, weil wir es nie wirklich raus aus der Wirtschaftskrise geschafft haben.

In den vergangenen Jahren haben sich mehrere Verlage im Land gegründet. Hilft das?

Es ist in den vergangenen sechs bis sieben Jahren tatsächlich besser geworden. Viele dieser Verlage arbeiten aber noch nicht als Verleger, sondern mehr als Druckereien. In unserem „Verlegerforum“, das seit acht Jahren besteht, bringen wir deshalb alte und junge Verleger zusammen. Die jungen kritisieren, dass sie kein Geld verdienen können. In einem Land mit 186 Millionen Menschen gelingt es nicht, 1.000 Exemplare eines Buchs zu verkaufen.

Welche Probleme gibt es darüber hinaus noch?

Den Verlegern fehlt außerdem der Zugang zu Material. Wir hatten einmal eine Papierfabrik, die aber während der Militärherrschaft geschlossen wurde. Man kümmert sich einfach nicht um Infrastruktur. Somit können auch Schriftsteller nicht vom Schreiben leben, sondern sie brauchen einen anderen Job. Ich bin sicher, dass Chimamanda Ngozi Adichie längst pleite wäre, würde sie hier leben.

Foto: Katrin Gänsler
Jahman Oladejo Anikulapo

54, hat Theaterwissenschaften studiert und 21 Jahre lang als Redakteur für den nigerianischen Guardian gearbeitet. Er gründete das „Komitee für relevante Kunst“, das Lagos Buch- und Kunstfestival und arbeitet im „Verleger-Forum“ mit. Sein Ziel ist es, Nigerianer wieder stärker zum Lesen von Literatur zu bewegen.

Chimamanda Ngozi Adichie hat mit ihrem Roman „Die Hälfte der Sonne“ über den Biafra-Krieg in Nigeria weltweite Berühmtheit erlangt und lebt in den USA. Wie wird sie in ihrem Heimatland gesehen?

Sie wird sehr respektiert und inspiriert viele junge Autoren. Einige sind aber auch neidisch und denken, dass ihr alles in den Schoß gefallen ist. Übel genommen hat man ihr aber etwas anderes: ihr Eintreten für Feminismus und die Unterstützung der LGBTQ-Gemeinschaft. Religion ist bei uns eine große Industrie. Aufgrund ihrer religiösen Voreingenommenheit haben viele Menschen gesagt: „Jetzt spricht sie wie Obama.“ Ihre Bücher sind hier aber sehr erfolgreich.

Bücher lassen sich heute auch in der elektronischen Variante kaufen. Bringen die E-Books den Aufschwung?

Es ist ein Trend der Zukunft, über den wir im „Verleger­forum“ sprechen. Trotzdem bezweifle ich, dass man auch nur ein Prozent der potenziellen Leser erreicht. Es geht schließlich um Datenvolumen. Und das ist das Datenvolumen, das auch zum Anschauen von Filmen oder zum Anrufen von Freunden genutzt wird. Die Kultur, ein Buch herunterzuladen, gibt es in der Generation derjenigen, die heute Ende 20 oder Anfang 30 sind, nicht. Vielleicht ändert sich das mit der Millenniumsgeneration. Generell fördert unsere Umwelt das Lesen schlicht nicht.

Was macht es so kompliziert?

Viele Menschen haben nicht einmal Strom zu Hause. Das trifft auch auf Studenten zu, die auf dem Campus leben. Man muss das Handy aufladen, das iPad. Der Druck ist da enorm und das Geld sehr knapp.

Trotzdem gibt es in Nigeria eine Mittelklasse, die Autos kauft und ständig neue Smartphones hat. Dort ist Geld nicht das Problem.

Ja, es hat sich eine neue Mittelklasse entwickelt, die sehr unproduktiv ist, sich nur für Konsum interessiert und das auch zeigen will. Owambe-Mentalität nennen wir das. Owambe bedeutet Party. Für viele von uns ist das sehr attraktiv, sodass wir nicht mehr an Dinge denken, die uns intellektuell bereichern. Ich weiß nicht, wie wir das ändern sollen. Heute dreht sich alles um Kleider und Schuhe.

Bei einem Mindestlohn von umgerechnet 42 Euro kann sich die Mehrheit keine Bücher leisten, die mitunter fast so teuer wie ein Wochenlohn sind. Sind gut ausgestattete Bibliotheken da die Lösung?

Bibliotheken, Bibliotheken, Bibliotheken. In unserer DNA gibt es etwas, das gegen Bibliotheken spricht. In meinem Büro in Surulele gibt es eine Bibliothek. Wir haben uns an die Kommune gewandt und Schüler fast angebettelt: „Bei uns gibt es Bücher. Kommt zu uns und lest. Ihr bekommt sogar Getränke.“ Niemand kam. Auch wenn ich durch Yaba, einen Stadtteil von Lagos, fahre, ist es das gleiche Bild: Es gibt eine Bibliothek, die zwischen der Universität von Lagos und der Technischen Hochschule Yaba liegt. Aber sie ist immer leer. In meiner Generation sind wir noch in Bibliotheken gegangen. Heute sind Bibliotheken keine Orte mehr, an die man geht.

Bringen spezielle Programme mehr Aufmerksamkeit fürs Lesen? 2014 war Port Harcourt die „Weltstadt des Buches“.

Das war ein Fiasko. Initiiert hatte es eine Frau, die einen Leseclub in Port Harcourt betreut und daraus ein Buchfestival gemacht hat. Sie ist eng mit dem früheren Gouverneur befreundet, der heute Verkehrsminister ist. Er hat das Projekt sehr unterstützt. Als die Regierung aber wechselte, hat sich niemand mehr dafür interessiert. Das gilt auch für die Aktion „Bring das Buch zurück“, eine gute Initiative der Jonathan-Regierung.

Spricht unter Präsident Muhammadu Buhari, der seit knapp zweieinhalb Jahren im Amt ist, noch jemand darüber?

Dieser Mann ist doch überhaupt nicht an Literatur interessiert. Als er zum ersten Mal 1983 an die Macht kam, hat er alles umgebracht, was mit Kunst zu tun hatte: ein Studentenfestival, ein Fernsehfestival. Die Buchmesse verließ genau in dieser Zeit Nigeria und ging nach Harare. Es fehlt an Kontinuität.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Literatur hier?

Literatur muss sich mehr mit den Menschen verbinden. Bis heute ist sie zu elitär.

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