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Lieber keinen einzigen Tropfen

Alkoholkonsum während der Schwangerschaft schadet dem ungeborenen Kind. Selbst ein Glas Wein kann gefährlich sein – denn es gibt keine verlässliche folgenlose Untergrenze fürs Kind. Doch die Hälfte der Schwangeren trinkt Alkohol, gerade auch Akademikerinnen

Nur ein Gläschen? Mediziner raten Schwangeren davon ab Foto: Michel Gaillard/REA/laif

Von Janet Weishart

Wer sich in die Sucht- und Drogenhilfe in Reinickendorf traut, hat Mut. Wagt den Schritt, sein Leben ändern zu wollen. Wie die 31-jährige Berlinerin Sandra Fischer (Name geändert, d. Red.). Die Büroangestellte sitzt zerknirscht vor Hebamme Susanne Rinne-Wolf, die seit zehn Jahren in der Institution der Stiftung SPI berät. Sandra erzählt, dass sie schwanger ist, 31. Woche. Und dass ihr Ehemann, nach dem Job „Ecstasy schmeißt“.

Nur wenig später gesteht sie, sich den Frust darüber täglich mit einer halben Flasche Sekt runterzuspülen. „Ich wusste nicht, dass es schädlich ist. Ich bin doch keine Alkoholikerin. Der Frauenarzt hat nie danach gefragt“, sagt sie.

Rinne-Wolf weiß um das Problem: „Viele Frauen sehen sich nicht als Teil der gefährdeten Zielgruppe, die ihr Kind wissentlich schädigen. Nach dem Motto: Ein Glas Wein, was ist dabei?“ Die Gefahren bleibender Schäden bei Alkoholkonsum während der Schwangerschaft für das Kind kennen laut Umfragen viele nicht, und Studien zum Thema sind rar gesät sind: Nach der KIGGS-Studie von 2007 tranken 14 Prozent der Schwangeren gelegentlich. In diese Richtung ging bereits 2002 die Befragung von 344 Schwangeren durch 48 Berliner Frauenärzte. Ergebnis: 58 Prozent tranken Alkohol, 18 Prozent bis zweimal wöchentlich, 4 Prozent häufiger. Höher gebildete Frauen tranken signifikant öfter. Auch ihnen war nicht bewusst, dass das Gehirn von Embryos dabei irreversibel geschädigt werden kann.

Alkohol überwindet als toxisch wirkender Stoff ungehindert die sogenannte Plazentaschranke. Das Fruchtwasser enthält dann schnell denselben Alkoholspiegel wie die Schwangere. Vorgeburtliche Schäden an Organen, Skelett, vor allem am Nervensystem entstehen. Mit dem daraus resultierenden Krankheitsbild Fetal Alcohol Spectrum Disorder (FASD, Fetale Alkoholspektrum-Störung) werden laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hierzulande rund 10.000 Babys pro Jahr geboren.

An der pränatal und durch ein von außen einwirkendes Gift erworbenen Behinderung leiden die Betroffenen lebenslang. Kinderarzt und Wissenschaftler Hans-Ludwig Spohr, seit 2008 Leiter des Berliner FASD-Zentrums an der Charité, lernt rund 300 davon betroffene Kinder und Erwachsene jährlich in der Diagnose-Sprechstunde kennen. „Die Spitze des Eisbergs“, so Spohr. Alkohol sei als Genussmittel eben weit verbreitet, Folgen werden tabuisiert, die Krankheit wird noch immer zu selten erkannt. Frauen schweigen als Selbstschutz, Scham. Akademische Kreise „können das sowieso gut geheim halten“. Spohr: „Aber mit dem Schulalter wird es offensichtlich. Es treten kognitive Störungen wie Konzentrationsmangel auf, oder die Kinder können Verhalten und Emotionen nicht steuern.“

Geburtsmediziner, Kinderärzte oder Sozialpädiatrische Dienste diagnostizieren heute nur gelegentlich FASD. Zu komplex. Allein das Fetale Alkoholsyndrom (FAS), als Vollbild der Alkoholschädigung, sei gut erkennbar, anhand des kleinen Babykopfs, verkürzter Lidspalten, dünnerer Oberlippe. Etwa 3.500 Kinder kommen damit jährlich in Deutschland zur Welt. „Verhinderbar“, so Spohr, der kompromisslos formuliert: „Wer ein Baby plant, wer schwanger ist, da gilt null Alkohol!“

Hebamme Rinne-Wolf trägt diese Botschaft als Vorstand des Berliner Hebammenverbandes in die Politik oder Hebammenschulen: „Risiken können selbst bei kleinsten Mengen nicht ausgeschlossen werden, schon ab der ersten Schwangerschaftswoche.“ Auch die gerade trendigen ­„Wochenend-Besäufnisse“ junger Frauen sind laut Spohr gefährlich, weil Betroffene von ihrer Schwangerschaft noch nichts wissen, sie verdrängen, „weiterbechern“. Spohr und Rinne-Wolf fordern, dass Schulen mehr aufklären und Frauenärzte sensibler hinhören.

Beratungen

Anonyme Beratung bei ­WIGWAM Zero, Stromstr. 47, 10551 Berlin, Tel. (030) 224451-414, Fax (030) 224451-499 wigwam-zero@vistaberlin.de

Telefonische Sucht- und Drogen-Hotline (bundesweit, rund um die Uhr): Tel. 01805 313 031 (14 Cent pro Minute aus dem deutschen Festnetz)

Wie etwa Oliver Schmid, Gynäkologe und Geburtsmediziner aus Reinickendorf. Auf seiner Website versucht der Pränataldiagnostiker zu sensibilisieren: „Das Thema ist in unserem Fachkreis absolut unterrepräsentiert. Obwohl es die häufigste kindliche Schädigung darstellt.“Schmid interviewt darum jede Patientin per Fragebogen zu Alkohol-, Nikotin- und illegalen Drogenkonsum. Etwa 1.000 jährlich, aber „es gab noch keine zu, Alkohol zu konsumieren“. Weil er und sein Team eine hohe Dunkelziffer vermuten, differenzierte er die Abfrage weiter mit der Wahlangabe: „Trinke selten Alkohol“.

Schmid klärt Patientinnen als „Vertreter der Ungeborenen“ bei allen Suchtmitteln zur Null-Toleranz auf: „Es gibt keine verlässliche Grenze, bis zu der Alkohol für Embryonen unproblematisch ist.“ Rinne-Wolf wie Spohr sagen: „Jeder Zeitpunkt ist der richtige, um mit dem Trinken aufzuhören.“

Sandra Fischer hat es geschafft. Allerdings so spät, dass ihre Tochter an FASD erkrankte. Mit dem Wissen kann die Kleine jetzt wenigstens speziell gefördert werden.

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