die nachricht
: Linke Bewegungen
kritisieren die Linkspartei

In einem offenen Brief haben Vertreter mehrerer Organisationen Sahra Wagenknecht kritisiert und die Fraktion aufgefordert, klare Kante gegen Rassismus in den eigenen Reihen zu zeigen

Das Neue

In einem am Freitag auf dem Facebook-Account des Netzwerks Blockupy veröffentlichten Brief hagelt es Kritik an der Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei, Sahra Wagenknecht. Die 37 Unterzeichner, die verschiedenen Organisationen von Blockupy über Welcome 2 stay bis Attac angehören, werfen Wagenknecht vor, mit „wiederholten Äußerungen (…) den antirassistischen Grundkonsens einer pluralen Linken in Frage [zu stellen].“ Sie fordern die Fraktion auf, endlich „klare Kante gegen Rassismus und Rechtspopulismus in der Gesellschaft – und in den eigenen Reihen“ zu zeigen.

Der Kontext

Mit dem Brief befeuern die Aktivisten einen schwelenden Zwist in der Linkspartei. Sahra Wagenknecht polarisiert in der Partei, die stolz auf ihre flüchtlingsfreundliche Haltung ist, häufiger mit umstrittenen Äußerungen zum Thema Flüchtlinge. Nach der Kölner Silvesternacht, in der junge Männer aus dem nordafrikanischen Raum massenhaft Frauen bestohlen und sexuell belästigt hatten, sagte sie: „Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht verwirkt.“ Ein Satz, der viele Linksparteiler empörte – ginge es doch nicht um Gastrecht, sondern um das Recht auf Asyl. Wagenknecht entschuldigte sich später für diese Formulierung, setzte aber mehrfach nach. Während des Bundestagswahlkampfs mied die Spitzenkandidatin das Thema, um gleich in der Wahlnacht zu bedenken zu geben, man habe es sich in der Flüchtlingspolitik zu leicht gemacht. Ihr Ehemann Oskar Lafontaine pflichtet ihr bei.

Die Reaktionen

Falls die Urheber des Briefes gehofft hatten, Fraktionsmitglieder würden sich nun schärfer von Wagenknecht distanzieren, wurden sie enttäuscht. „Wer die Fraktionsvorsitzende in die rassistische Ecke stellt, hat nicht alle Tassen im Schrank und verlässt damit jede ernst zu nehmende Diskussion“, sagte Fraktionsvize Jan Korte dem Nordkurier. Der Philosoph Thomas Seibert, einer der Mitunterzeichner des Briefs, konkretisiert gegenüber der taz: „Sie ist keine bekennende Rassistin.“ Aber Wagenknecht stärke rassistische Positionen in der Wählerschaft der politischen Linken und damit den diffusen Rassismus in rund einem Viertel unserer Gesellschaft.

Die Konsequenz

Die Partei schart sich zunächst einmal um die Fraktionsvorsitzende. Doch Wagenknecht, die in dieser Woche auf der Fraktionsklausur wiedergewählt werden möchte, muss um die Mehrheit bangen. Besonders neue, junge Parteimitglieder, die sich oft in antirassistischen Initiativen engagieren, sind erzürnt über die Versuche der Fraktionsvorsitzenden und ihres Ehemannes, die Interessen von Geflüchteten und prekär Beschäftigten gegeneinander auszuspielen und so an die AfD verlorene Wähler zurückzugewinnen. In der Fraktion rumort es. Mehrere Anträge fordern eine Änderung der Fraktionsgeschäftsordnung und eine Begrenzung der Macht der Fraktionschefs. So solle in Redebeiträgen im Plenum grundsätzlich die Mehrheitsauffassung der Fraktion vorgetragen werden.

Anna Lehmann, Stefan Reinecke