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Proteste als Geschenk zu Putins Geburtstag

Tausende demonstrieren in Russland, um den Oppositionellen Alexei Nawalny zu unterstützen. Anders als bei früheren Aktionen hält sich die Polizei zurück

Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Es war ein kleines Wunder. Elf Stunden harrten die Sicherheitskräfte in Moskau geduldig aus, bevor sie den ersten Demonstranten festsetzten.

Erst in der Nacht zu Sonntag nahm die russische Polizei mehrere Anhänger des Putin-Herausforderers Alexei Nawalny, die vorhatten, sich im Zentrum vor der Staatsduma für die Nacht einzurichten, in Gewahrsam.

Die Demonstration unter dem Motto „Für Nawalny“ richtete sich gegen eine erneute Kandidatur des Kremlchefs Wladimir Putin bei der Präsidentschaftswahl im nächsten März. Vor allem ging es aber um eine Zulassung ihres Kandidaten – des Antikorruptionskämpfers Alexej Nawalny. Er war wegen angeblichen Betrugs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden und darf nicht mehr kandidieren.

Die Zurückhaltung der Polizei hatte niemand erwartet, auch nicht die frühe Freilassung der Festgenommenen am Sonntagvormittag. Die Ordnungshüter sahen sogar von einer Anzeige ab. Der Historiker und Oppositionelle Valerie Solowei kommentierte die Zurückhaltung des Kremls als „sehr weise“. Demnach hätten die Machthaber verstanden, dass von dem Protest für sie keine ernsthafte Gefahr ausginge. „Man sollte die Behörden nicht unterschätzen und nur auf die Kraft des eigenen Aufrufs und Charismas hoffen“, sagte der Oppositionelle.

Alexei Nawalny hatte spontan zu Protesten aufgerufen, nachdem ihn ein Moskauer Gericht am vergangenen Montag zu 20 Tagen Arrest wegen Verstößen gegen das Versammlungsverbot verurteilt hatte. Auch Nawalnys Stabschef Leonid Wolkow wurde mit einem 20-tägigen Arrest aus dem Verkehr gezogen. Der Protest hatte überdies einen symbolträchtigen Hintergrund: Präsident Putin feierte am Samstag seinen 65. Geburtstag.

In Moskau folgten zwischen 1.000 und 2.000 Demonstranten dem Aufruf. Viele hielten aufblasbare Enten in der Hand – ein Symbol für Korruption. Andere reckten die Russische Verfassung in die Höhe. Die Demonstranten skandierten: „Herzlichen Glückwunsch und auf Wiedersehen!“ Manche riefen: „Wir haben hier die Macht!“

Gut vorbereitet hatte sich das „Protestierende Moskau“. Für das Geburtstagskind hielt die Gruppe weiße Pakete mit roter Schleife parat. Eine Gabe bestand aus einem „Rücktrittsgeschenk“, ein andere versprach einen „fairen Prozess“. Die Geschenkübergabe organisierte die Polizei, sie sammelte die Überraschungen umgehend ein.

Insgesamt waren in 80 Städten zwischen Kaliningrad und Wladiwostok Protestaktionen geplant. Im Vergleich zu den Massenprotesten im März und Juni, als Zehntausende dem Ruf des charismatischen Politikers gefolgt waren, fiel der Aufmarsch bescheiden aus. Waren damals vor allem Jugendliche auf die Straße gegangen, schlossen sich an diesem Wochenende auch viele Ältere dem Protest an.

An diesem Wochenende schlossen sich auch viele Ältere den Kundgebungen an

Aus Jekaterinburg im Ural wurden besonders viele Festnahmen gemeldet. Auch in Sankt Petersburg kam es nach gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei zu mehr als 60 Festnahmen.

Zwei Mitarbeiter aus dem Wahlstab Nawalnys waren bereits vor Beginn der Veranstaltung festgesetzt worden. Dem Antikorruptionskämpfer gelang es am Samstag noch, aus der Haft die erheiternde Nachricht abzusetzen: „Wenn wir nichts tun, werden sie uns für den Rest unseres Lebens diesen Fraß vorsetzen. Und unseren Kindern auch.“

Nach Angaben des Bürgerrechtler-Portals OvD waren insgesamt 290 Menschen festgenommen worden. Im Vorfeld waren 120 Aktivisten aus dem Umfeld Nawalnys überprüft sowie deren Wohnungen und Büros durchsucht worden. Von Kaliningrad über Sotschi bis zur Insel Sachalin im äußersten Osten schlugen die Sicherheitskräfte schon vor den Protesten zu.

Auch Versuche lokaler Behörden wurden gemeldet, mögliche Demonstranten von der Teilnahme abzuhalten. In der Lada-Stadt Togliatti etwa wurden Lehrer verpflichtet, mit Schülern einen Arbeitssamstag abzuhalten. In Pskow an der Grenze zu Estland war der Versammlungsort plötzlich vergeben.

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