piwik no script img

Einfach nicht den einfachen Weg gehen

„Werde ich jetzt eine Pop-Tussi oder mache ich Kunst?“: Die Berliner Sängerin Elif hat mit ihrem Album „Doppelleben“ eine Antwort auf diese Frage gefunden. Heute spielt sie im Lido

Von Thomas Winkler

Sie isst am liebsten Pizza, sagt sie. Italienische Pizza. Obwohl sie doch eigentlich eine Türkin ist? Wie türkisch kann jemand sein mit einem deutschen Pass und einer Vorliebe für Pizza? Andererseits: Ist dieser allüberall anzutreffende, dieser durchglobalisierte Teigfladen überhaupt noch italienisch? Gibt es nicht auch türkische Pizza? Überhaupt: Was macht einen zur Türkin? Und was hat das alles mit Musik zu tun? Mit Elif und ihrem aktuellen Album „Doppelleben“?

Antwort: Erst einmal nichts. Und dann doch sehr viel. Denn natürlich ist Elif, 24 Jahre alt, aufgewachsen in Moabit, erst einmal eine Sängerin. Ihre Stimme ist stark und dunkel, ihre Musik melancholisch und ihre Texte nachdenklich. 2009 hat sie in einer Fernseh-Casting-Show mitgemacht und den zweiten Platz belegt. Danach wurde sie von einer großen Plattenfirma verpflichtet, ihr Albumdebüt erschien 2013. „Doppelleben“, ihr zweites Album, ist in diesem Sommer herausgekommen und immerhin bis auf Platz 18 der deutschen Charts geklettert.

So weit, so unspektakulär. Aber die gebürtige Berlinerin Elif trägt den Nachnamen Demirezer, ihre Eltern sind türkische Immigranten. Deshalb werden Elif gewisse Fragen immer wieder gestellt. Die eine Frage ist die, wie es war, damals vor acht Jahren, als sie es bei bei „Popstars“ bis ins Finale geschafft hat. Auf diese Frage antwortet Elif, dass sie damals viel gelernt habe, vor allem, was sie nicht will.

Noch mehr Fragen, die Elif immer wieder gestellt bekommt, haben mit der Herkunft ihrer Eltern zu tun. Es sind Fragen, in denen die Namen von Politikern vorkommen, Wörter wie „Referendum“ oder „Integration“. Sie hat sich mittlerweile, sagt sie, an diese Fragen gewöhnt: „Ständig soll ich Stellung beziehen, als wäre ich Expertin für das deutsch-türkische Verhältnis. Ich nehme das mittlerweile nicht mehr persönlich, aber ich bin eben bloß Elif aus Berlin. Und natürlich will ich mich nicht in eine Schublade drängen lassen.“

Zum Gespräch über ihr aktuelles Album „Doppelleben“ lädt Elif folgerichtig denn auch nicht in eine Shisha-Bar ein, sondern ins Foyer eines Läufer-Treffpunkts an der Grenze zwischen Kreuzberg und Treptow. Schlanke Menschen in eng anliegender Funktionswäsche gehen federnden Schrittes zum Café-Tresen, wo ihnen grasgesundgrüne Flüssignahrung serviert wird. Berlin ist hier sehr international, sehr globalisiert und ganz anders als das Berlin, über das sich Journalisten mit Elif am liebsten unterhalten würden.

Kein Dazwischen

Nicht, dass Elif dieses Berlin nicht kennen würde, sie ist dort aufgewachsen. Sie hat es aber auch ganz bewusst verlassen, als sie vor fünf Jahren bei ihren Eltern auszog, als sie sich mit 16 Jahren für den deutschen Pass entschied. Der Titelsong ihres Albums, der geschickt mit orientalischen Harmonien spielt, handelt ebenso von dem Leben zwischen diesen beiden Welten wie das Lied „Schwarz, weiß, grau“, erzählt sie: „Wenn man zwischen zwei Kulturen aufwächst, wird man ständig vor die Wahl gestellt. Ständig soll man sich entscheiden, es gibt kein Dazwischen, immer nur Ja oder Nein. Aber im wirklichen Leben gibt es viele Grautöne, für die man sich entscheiden kann, nicht nur Schwarz und Weiß.“

„Ständig soll ich Stellung beziehen, als wäre ich eine Expertin für das deutsch-türkische Verhältnis. Dabei bin ich eben bloß Elif aus Berlin“

Nur politisch sollte man das bitte nicht verstehen. Nein, das Verhältnis zu ihren Eltern ist wieder im Lot, und Fragen zu einem gewissen Herrn Erdoğan beantwortet sie grundsätzlich nicht. Und dass die traurige Melodie, mit der ihr Album eröffnet wird, von einer Duduk gespielt wird, dem armenischen Nationalinstrument, auch das beinhaltet keine politische Botschaft. Der Klang der Duduk, erklärt Elif das Albumintro, erinnere sie an ihre Kindheit. Dass es diplomatische Verwicklungen gab zwischen ihrer Heimat und der ihrer Eltern, nachdem der Bundestag in einer Erklärung den Völkermord an den Armeniern als solchen benannt hatte, das hatte sie gar nicht mitbekommen.

Man kann das uninformiert nennen. Man kann aber auch einfach zur Kenntnis nehmen, dass Elif Demirezer zwar einen deutsch-türkischen Hintergrund hat, aber vor allem doch eine herzlich normale 24-jährige Berlinerin ist. „Auf dem Album geht es in erster Linie um meine Erfahrungen, meine Gefühle, meine Verpeiltheit, um mich“, sagt sie. „Es geht um die Frage: Wer bin ich? Und wo will ich hin? Dass ich mir diese Fragen so intensiv stelle, das mag damit zu tun haben, wie ich aufgewachsen bin.“

So muss man das wohl sehen. Elifs Musik, ihre leicht zum Pathos neigenden, aber durchaus anrührenden Texte, ihre Musik, die fast so zielsicher den toten Winkel zwischen Schlager und Charts-Pop findet wie die ihres Vorbilds Clueso, sind nicht erklärbar ohne ihre Biografie. Aber ihre Biografie ist nicht das beherrschende Thema ihrer Songs.

Trotzdem kann man sich gut vorstellen, wie sie damals zusammen saßen bei der Plattenfirma und sich die Bilder ansahen von dem hübschen Mädchen, wie sie ihren Lebenslauf studierten und sich dachten: Das könnte eine Nische sein, einen deutsch-türkischen Popstar gibt es in Deutschland doch noch nicht. Sollte es diesen Plan gegeben haben, Elif hat ihn einfach torpediert, indem sie sich sehr viel Zeit gelassen für ihre Musik, indem sie lange Jahre hat verstreichen zwischen ihren Alben, indem sie darauf bestand, ihre eigenen Texte zu schreiben, eigene Entscheidungen zu treffen: „Es gab Momente, in denen ich mich fragen musste: Werde ich jetzt eine Pop-Tussi oder mache ich Kunst? Es wäre einfach, einen Radio-Song zu schreiben. Aber sich treu zu bleiben und doch kommerziell etwas zu erreichen, das ist die Kunst. Es ist einfach, den einfachen Weg zu gehen. Ich mag keine einfachen Wege, ich mag Umwege.“ Wenn man zwischen den Welten wandert, muss man wohl notgedrungen immer mal wieder einen Umweg einschlagen.

Live: 6. Oktober, 20 Uhr, Lido

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen