: EU mischt sich nicht ein
Flandern, Korsika, Südtirol – bei der EU-Kommission ist die Angst vor einer Kettenreaktion groß
Aus Brüssel Eric Bonse
„Ich bin eifersüchtig auf die Katalanen.“ Das sagte Flanderns Ministerpräsident Geert Bourgeois am Dienstag im belgischen Radio. Die Katalanen seien stolz auf ihre Identität, und das über die Parteigrenzen hinweg. Daran könnten sich die Flamen ein Beispiel nehmen, meint Bourgeois, der der nationalistischen Partei N-VA angehört.
Es sind Interviews wie diese, die in Brüssel alle Alarmglocken schrillen lassen. Und das nicht nur in der belgischen Föderalregierung, die um die Einheit des Königreichs bangt. Auch in der Brüsseler EU-Kommission hat man Angst vor einer Kettenreaktion, die die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien auslösen könnte. Flandern, Korsika, Südtirol – das sind nur drei Regionen, die sich vom katalanischen Fieber anstecken lassen könnten. Weitere Separatisten gibt es bei den Basken in Spanien und Frankreich, den Schotten in Großbritannien oder den Ungarn in der Slowakei, Rumänien und Kroatien.
Zwar sind die meisten längst nicht so aktiv wie die Katalanen. Dennoch spielt die Angst vor einem Flächenbrand eine wichtige Rolle bei der Reaktion der Brüsseler Behörde auf die Ereignisse in Spanien. Wochenlang haben EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und sein Team das Problem verdrängt. Vor dem Referendum am Sonntag stellte sich Juncker noch taub. Ein Appell des katalanischen Außenministers Raül Romeva an die EU-Kommission, vermittelnd einzugreifen, blieb unbeantwortet. Erst am Montag, am Tag nach der umstrittenen Abstimmung und den brutalen Polizeiübergriffen, meldete sich Juncker zu Wort. Er verurteilte die Gewalt und rief zum Dialog auf. Doch den Schiedsrichter wollte der Luxemburger immer noch nicht spielen. Schließlich sei das Referendum nach spanischem Recht illegal und das Ganze eine rein innerspanische Angelegenheit. Man habe volles Vertrauen in den spanischen Premier Mariano Rajoy, die Krise zu lösen.
Dieses Vertrauen ist bei vielen Europaabgeordneten allerdings verloren gegangen. Angesichts der Übergriffe spanischer Polizisten fordern sie Juncker auf, mäßigend auf Rajoy einzuwirken. Auch die Europäische Volkspartei, der neben Juncker und Rajoy die CDU und die CSU angehören, müsse den konservativen spanischen Regierungschef zur Ordnung rufen, meint Reinhard Bütikofer von den Grünen. Am Mittwoch will das Europaparlament über die Krise in Katalonien diskutieren. Dann muss auch Juncker Farbe bekennen. Es könnte ein Moment der Wahrheit werden – für Spanien und für Europa.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen