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Geopolitische Kür

Dem nordkoreanischen Eiskunstlaufpaar Kim/Ryom gelingt die Qualifikation für Olympia in Südkorea. Ob sie wirklich starten dürfen, wissen sie noch nicht

Aus Oberstdorf Marina Mai

Kim Ju-sik (24) schiebt seinen Rollkoffer ein wenig unsicher durch das Eissportzentrum in Oberstdorf. Neben dem nordkoreanischen Eiskunstläufer gehen seine zierliche Partnerin Tae Ok Ryom Tae-ok (18) und die Trainerin. Der Aufpasser für die Nordkoreaner, ein ehemaliger Eisläufer und heutiger Verbandsfunktionär, ist nicht zu sehen. Die Sportler wirken noch ein wenig kindlich. Hier in Oberstdorf wollen sie sich für die Olympischen Spiele im südkoreanischen Pyeongchang qualifizieren – als vermutlich einzige Sportler des weitgehend abgeschotteten Landes. Oberstdorf ist ihre Chance. Vier Olympia-Tickets im Paarlaufen werden hier vergeben.

Alexander König, der Trainer der deutschen Vizeweltmeister Aljona Savchenko/Bruno Massot, steht an der Bande, als die Nordkoreaner ihr Kurzprogramm laufen. Sie tragen schicke Kostüme und interpretieren den Beatles-Song „A day in the life“. Ihre Höchstschwierigkeiten sind der dreifache Twist, der Dreifach-Toeloop und der dreifache Wurfsalchow. „Sauber ausgeführt!“, lobt König. „Sie sind im Rennen. Jetzt kommt nur noch die Todesspirale, dann sind sie durch.“ Die beiden kommen sicher auch über diese Hürde. Die Halle applaudiert.

Die Kanadier Camille Ruest/Andrew Wolfe, die nach ihnen an der Reihe sind, jubeln ihnen zu. Man kennt sich. Im Sommer waren die Nordkoreaner bei ihrem Trainer Bruno Marcotte in Montreal zu Gast, haben mit ihnen gemeinsam trainiert. Auch König klatscht. „Wir haben sie gut aufgenommen“, sagt er. „Wir“ damit meint der Trainer die weltweite Community der Eiskunstläufer. „Niemand grenzt sie aus. Das müssten sie schon selbst tun.“ Doch danach sieht es hier in Oberstdorf nicht aus.

Ihr Aufpasser hält sie an der langen Leine. Gemeinsame Mahlzeiten und Gespräche mit Konkurrenten sind erlaubt. Alexander König: „Wir alle hier wissen, dass ihre Teilnahme an den Olympischen Spielen die Chance auf deren friedlichen Verlauf erhöhen kann.“ Nach dem Kurzprogramm stehen die Nordkoreaner auf dem fünften Platz. Zieht man die beiden führenden Paare aus Russland und Deutschland ab, die bereits für Olympia qualifiziert sind, ist es der dritte Platz. Der reicht für Pyeongchang.

Gleich zwei Trainer sind mit dem Paar nach Oberstdorf gereist, arbeiten seit Monaten mit ihnen. Da ist ihre Heimtrainerin Hyon Son Kim, eine mütterlich wirkende Asiatin mit langen schwarzen Haaren, die ihre Schützlinge immer wieder anfeuert. Und da ist der Kanadier Bruno Marcotte. Dass Nordkorea seine Sportler bei solch einer internationalen Kapazität zum Training schickt, zeigt, wie viel den Funktionären an der Olympiateilnahme ihrer Sportler liegt.

„Niemand grenzt sie aus. Das müssten sie schon selbst tun“

Der Kontakt sei bei der WM im März zustande gekommen, erzählt Marcotte. Die Sportler hatten ihn gefragt, was sie tun müssten, um besser zu werden. Seine Antwort: Sie sollten mehr internationale Wettkämpfe laufen, um routinierter zu werden und sich bei den Preisrichtern einen Namen zu machen. Und sie sollten ihre Choreografien verbessern. Marcotte bot seine Hilfe an, und tatsächlich durften die Nordkoreaner im Sommer drei Monate zu ihm zum Training fahren. Marcotte lobt seine Schützlinge als harte und hoch motivierte Arbeiter. Wer das finanziert? Bruno Marcotte wundert sich über die Frage. „Selbstverständlich zahlen sie wie alle meine Schüler für das Training. Ich kann nicht unentgeltlich arbeiten.“

Freitagabend. Die Kürentscheidung steht an. Ryom und Kim betreten das Eis, ein wenig unsicher wirken sie, da schlagen die Männer vom deutschen Paarlauf-Fanclub auf die Trommel. Das tun sie sonst nur, um deutsche Paare zu unterstützen. Nach dem Trommeln löst sich die Anspannung in den Gesichtern der Sportler. Nach jedem gelungenem Wurf, jeder gelungenen Hebung lächelt der 24-jährige Ju Sik Kim seine noch immer sehr angespannte Partnerin an. Es ist nicht mehr das unsicher-kindliche Lächeln, als er mit dem Rollkoffer durch die Eishalle lief. Er ist auf dem Eis, in seinem Element. Er strahlt von innen. Mit diesem Lächeln hat Kim Ju-sik das Zeug, Gesicht eines freundlichen Nordkorea zu werden. Bis auf ein Straucheln bei einer Pirouette kommen die beiden sicher durch ihr Programm. Mit 180,09 Punkten stehen sie am Ende auf dem sechsten Platz. Zählt man nur die Paare, die sich noch für Olympia bewerben müssen, ist es Platz drei. Qualifikation ist geschafft.

Die Frage, ob sie tatsächlich zu Olympia fahren, ist offen. „Das ist eine Entscheidung der Regierung. Wir können das nicht kommentieren“, sagt Trainerin Kim Hyon-son auf der Pressekonferenz. Allein die Tatsache, dass sich nordkoreanische Sportler dem Blitzlichtgewitter und Journalistenfragen stellten und eine koreanischstämmige Fotografen der New York Times als Dolmetscher zuließen, ist eine kleine Sensation. Das hat der Pressesprecherin der Deutschen Eislaufunion, Tatjana Flade, viel diplomatische Arbeit abverlangt. Dass die Sportler dabei nicht zielgenau auf Journalistenfragen antworten, liegt sicher an ihrer mangelnden Erfahrung. Vielleicht wird das einmal anders. „Wir wollen mal Weltmeister werden“, meint Ryom Tae-ok selbstbewusst.

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