: Den Tagesjournalismus stärken
Werkstattbericht Ab 2. Oktober erscheint die neue taz. Bis dahin verraten wir ein paar Dinge über die Neugestaltung der Zeitung – heute geht es um den hintergründigeren Umgang mit dem täglichen politischen Nachrichtenfluss
Tagesjournalismus galt zuletzt als Auslaufmodell. Die Leute, hieß es, lesen nur noch auf dem Smartphone. Online ist schnell und wendig, Print ist langsam und doof. Auch die taz dachte dies zuweilen, traute sich aber nicht, das ihren Stammkunden zu sagen. Wenn schon Papier, dachte sie, dann am ehesten noch am Wochenende, wenn die Leute abschalten.
Diese Zeiten sind vorbei. So gut wie jeder Mensch genießt (oder erleidet) Zugang zur virtuellen Welt. Die als Neutralität verkleidete Lüge und vor allem die gezielte Selektion der Informationsflüsse ist dadurch zum Herrschaftsinstrument geworden. Weltweit werden unliebsame Fakten verzerrt oder verschwiegen, jeweils im Sinne der jeweiligen Machthaber und Meinungsmacher. Auch europäische Länder und liberale Gesellschaften sind vor dieser Verlockung nicht gefeit.
Da sind Medien, die ihrem Publikum das Bedienen des eigenen Verstandes erleichtern, wichtiger denn je. Gerade in unübersichtlichen Zeiten will man begreifen, was los ist, um notfalls selbst eingreifen zu können. Dafür ist die Tageszeitung unverzichtbar, denn sie bietet die nötige Verknüpfung von Aktualität und Hintergrund.
Tageszeitung lesen heißt: einschalten statt abschalten. Wochenjournalismus führt aus den wichtigen Dingen hinaus und erweitert den Horizont. Tagesjournalismus führt in die wichtigen Dinge hinein und beleuchtet, was innerhalb des Horizontes liegt. Eine gute Tageszeitung wiederholt weder papageienhaft Verlautbarungen, noch ist sie ein Nachdruck der TV-Nachrichten vom Vorabend; sie ist keine beliebige Wundertüte und betreibt auch nicht plumpe Meinungsmache. Sie hebt aus dem Rauschen des Nachrichtenflusses das hervor, was dringend einer vertiefenden Erläuterung bedarf. Sie erklärt die Vorkommnisse der Welt und ermöglicht es den Menschen, sich davon selbst ein Bild zu machen, zum Zeitpunkt ihrer Wahl. Sie betreibt Erklärung als Aufklärung, macht Standpunkte und Zusammenhänge sichtbar.
Die neue taz gibt dem jetzt mehr Raum. Derzeit schneiden wir im Blatt täglich rund hundert verschiedene Themen an. Aber ein Drittel davon kommt über drei Sätze in einer Kurznachricht nicht hinaus und ein weiteres Drittel wird nur an der Oberfläche angerissen. Manche Ecken der Zeitung ähneln eher einem Sachregister, auf dessen Grundlage man sich den Rest bitte selbst im Netz zusammensuchen möge.
In Zukunft wird auf den aktuellen Seiten der taz mehr vertieft – und dafür stärker ausgesiebt. Wir wollen Autoren, die über einzigartige Kenntnisse und Einblicke verfügen, nicht mehr ständig aus Platzgründen zum Weglassen der Hälfte ihres Wissens verdonnern, nur damit andere Dinge Raum bekommen, zu denen wir wenig zu sagen haben. Wir werden Raum bieten, wo wir am besten sind. Jeden Tag. Dominic Johnson
Dominic Johnson leitet das Auslandsressort der taz. Bis zum Start der neuen taz am Montag, 2. Oktober, bringen wir jeden Tag einen Werkstattbericht zu den konzeptionellen und gestalterischen Veränderungen der Zeitung.
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