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Von der Bandscheibe gerettet

handball THW Kiels Trainer steht nach dem miserablen Saisonauftakt seiner Mannschaft in der Kritik. Das Ende seiner Amtszeit scheint nahe, doch erst mal lässt er sich nur am Rücken operieren

Exakt 13 Stunden und 56 Minuten nach dem 22:30-Debakel des Handball-Rekordmeisters THW Kiel bei der HSG Wetzlar ploppte sie auf – die E-Mail der THW-Pressestelle, mit der so viele Beobachter gerechnet hatten. Ein Ausrufezeichen zeigte an: „Priorität hoch“. Das war’s dann wohl mit Alfred Gislason, so der erste Gedanke. Doch weit gefehlt!

Es ging zwar um den 58 Jahre alten Isländer, der seit 2008 den THW trainiert, doch von einer Beurlaubung war nicht die Rede. Nur von einer Auszeit – aus gesundheitlichen Gründen. Am Morgen nach dem sportlichen Desaster in Wetzlar habe sich Gislason vom Kieler Wirbelsäulen-Spezialisten Philipp Lübke erfolgreich an der Bandscheibe operieren lassen, hieß es.

„Ich hatte gehofft, den Eingriff bis zur EM-Pause im Januar verschieben zu können“, sagte Gislason. „Aber es ging einfach nicht mehr. Unsere medizinische Abteilung hat mir deshalb die Operation dringend nahegelegt.“ Beim gestern Abend stattfindenden Champions-League-Spiel im polnischen Kielce (nach Redaktionsschluss beendet) vertrat ihn Assistenztrainer Christian Sprenger. Bei gutem Heilungsverlauf, so hieß es in der Mail, könnte Gislason schon am Mittwoch gegen Aalborg Handbold wieder auf der Trainerbank sitzen.

Keine beruhigende Nachricht für viele THW-Fans. Sie hätten sich einen klaren Schnitt und das Dienstende von Gislason gewünscht. Während seines Krankenhaus-Aufenthaltes kann der Historiker von der Vereinsführung nicht beurlaubt werden, das verbietet der Respekt vor dessen Leistung. Immerhin hat er Kiel zu sechs Meisterschaften, fünf DHB-Pokal-Siegen und zwei Triumphen in der Champions League geführt.

Viele Anhänger wollen erkannt haben, dass sich Gislason nach knapp einem Jahrzehnt bei den „Zebras“ abgenutzt habe. „Es reicht, Alfred! Bitte sag endlich Tschüss“, flehte der Nutzer „Kieler“ auf NDR.de. „Verärgerter Kieler“ forderte: „Gislason und Storm raus“. Auch für Geschäftsführer Torsten Storm könnte der komplett verpatzte Saisonstart Folgen haben. „Die Saisonziele setzt sich unser Team höher, als es jedes andere könnte“, hatte Storm vollmundig vor dem Start verkündet. Nach zwei Spielzeiten des Umbruchs, die nur den Gewinn des DHB-Pokals im April bescherten, träumten sie vom Beginn einer neuen Ära.

Es kam ganz anders. Nach Pleiten gegen Hannover-Burgdorf, in Melsungen und in Wetzlar stecken die „Zebras“ mit 6:6 Punkten in der Tabelle knietief in der Mittelmäßigkeit. Es ist der schlechteste Saisonstart seit 15 Jahren. Nach der Pleite in Wetzlar wirkte Gislason konsterniert: „Ich muss mich fragen, warum die Mannschaft so verunsichert ist. Das geht garantiert auf meine Kappe.“

An der Erfolglosigkeit haben gewiss auch das Fehlen des Spielmachers Domagoj Duvnjak, der nach einer Knieverletzung in der Reha ist, und die Personalie Andreas Wolff ihren Anteil. Der Torhüter ist über seine geringen Spielanteile so verärgert, dass er maulig auf der Ersatzbank saß. Das dürfte die Stimmung im Team nicht verbessert haben. Und das Aus für Gislason scheint nahe. GÖR

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