: Die Luftwurzlerin
Kultur versteht sie als Einmischen. So hat es Eva Hosemann in ihrem Schauspieler- und Intendantenleben immer gehalten. Nun verlässt die Stuttgarter Rampe-Chefin nach 15 Jahren ihr Theater. Ein Aufbruch ins aufregende Ungewisse
von Susanne Stiefel (Text) und Martin Storz (Fotos)
Vorsicht, diese Frau ist gefährlich. Eine Verführerin, die ihre Geschichten mit so viel Selbstironie, mit so ausladender Gestik und mit dieser rauen Rauchstimme so packend verpackt, dass man beim Diskutieren die Zeit vergisst und mitraucht und mittrinkt beim lustvollen Hüpfen von der Politik zum Allzumenschlichen, von der Philosophie zum Alltag, vom Theater zum Film und der Literatur. Eva Hosemann genießt das Leben bedingungslos. Stürzt sich hinein, mit Haut und Haaren, holt sich Schrammen und schüttelt sich, kommt mit dem Kopf unter Wasser und taucht doch immer wieder auf.
Sie jammert nicht, so ist das halt, wenn man unbekannte Pfade geht, nicht den einfachen Weg, den ausgetretenen, breiten, den alle gehen. Wer jammert, verliert. Eva Hosemann ist keine Heulsuse, aber auch keine Hasardeurin, eher eine kontrollierte Abenteurerin, die Pläne macht und doch weiß, dass das Leben sich nicht um Pläne schert. Das ist gefährlich kräftezehrend und verführerisch schön.
In ihrem Leben ist Eva Hosemann, die 1962 geboren wurde, immer wieder aufgebrochen. Weg vom behüteten Elternhaus, wo sie das Wunschkind war, das einzige, das geliebte, fast zu viel geliebte, weil auch Liebe einschränken kann. Weg vom renommierten Burgtheater, weil die Schauspielerin ihr eigenes Ding machen wollte, im Volkstheater in Wien, in Köln, in Hannover, frei von Zwängen.
Und am liebsten wäre sie sowieso immer unterwegs im Theaterzelt, ohne festen Wohnsitz. Das Bild hat Eva Hosemann so deutlich im Kopf, dass sie es inszenieren könnte: Wenn der Theatertrupp dann in die neue Stadt einmarschiert, sieht sie Emma vorneweg tippeln, die Hundeschnauze hochgereckt und schon bekannt im ganzen Land, noch bevor der Theaterzirkus sein Zelt aufgeschlagen hat. „Gell, Emma“, sagt die Rampe-Chefin mit dieser Stimme, die nach Whiskey und Zigaretten klingt und den ganzen Raum füllt, egal, ob sie auf der Bühne steht, im Proberaum letzte Kritik übt oder im Theatercafé Gleis 3 sitzt. Und Emma, seit 15 Jahren Teil des Hosemann'schen Theater- und Lebenskosmos, ebenso lange an der Rampe wie die Herrin, legt den Kopf schief und lächelt zurück.
It's not lupus: Theater stellt Diagnosen wie Dr. House
Wie immer trägt Emmas Herrin Schwarz, an diesem Tag ein T-Shirt mit dem Kopf des Doktors drauf aus ihrer Lieblingsserie Dr. House. „It's not Lupus“, steht darauf, und Eva Hosemann gesteht, dass sie diesem medizinischen Sherlock Holmes mit seinem Sarkasmus und seinen philosophischen Ausflügen verfallen ist. „Nach den Ursachen suchen, eine Diagnose stellen, das machen wir im Theater doch auch“, sagt die Frau, die Schauspielerin, Regisseurin, Intendantin in einem ist. Und außerdem Ratgeberin, Beichtmutter und Impulsgeberin. Eva Hosemann ist in vielen Rollen zu Hause.
Dass ihr Theater, die Rampe, dort seinen Platz hat, wo nachts die Straßenbahn einfährt, gefällt der Chefin. Am nächsten Tag ist die Bahn wieder weg, unterwegs in der Stadt, wenn Hosemann auch die immer gleichen Routen zu eng wären. Stuttgart wäre der Ruhelosen ein bisschen zur Heimat geworden, wenn sie denn so genau wüsste, was das eigentlich ist, Heimat. Ein konkreter Ort ist es jedenfalls nicht, allenfalls ein besserer Ort im Bloch'schen Sinne, als Wärmestrom einer gerechteren Welt, die es noch zu schaffen gilt. So lange es diese Heimat nicht gibt, bleiben die kleinen Dinge. „Heimat sind mir immer wieder Bücher, sind mir Menschen, egal, ob sie in Hamburg, Berlin oder Zürich leben“, sagt Eva Hosemann.
Oder eben in Stuttgart. Sie steht draußen vor der Rampe an einem der Stehtische, an denen sich im Sommer die Theaterbesucher treffen, ein Glas Sekt in der einen und die Zigarette in der anderen Hand. Unten singt der Verkehr die Hintergrundmusik, ein forderndes Hupen, ein Fenster wird heruntergekurbelt. „Ich mach gleich auch Theater“, schreit Muck nach oben. Muck, der Deutschlehrer vom Mörikegymnasium, mit dem die Intendantin schon lange zusammenarbeitet und so manches gemeinsame Stück gestemmt hat.
Sie wird ihn vermissen, wenn sie 2013 die Rampe verlässt, wie so vieles: den Fernsehturm, wo sie „6 and the Citynun “ gespielt haben. Den Festakt zum jährlichen Hansel-Mieth-Preis, bei dem sie die preisgekrönten Reportagen vorliest und mit ihrer prägnanten Stimme aus guten Texten hervorragende macht. Die Aufführungen in fremden Wohnzimmern. „Wir haben einige Dinge in die Stadt hineingewuppt, die immer noch wummern“, so Hosemanns stolze Bilanz. Vielleicht wäre ihr Stuttgart zur Heimat geworden, wenn es nicht diese starke Konkurrenz gäbe: Wien.
„Ich bin ein Suchtmensch, das habe ich von meinem Vater“
Dort hat Eva Hosemann nach der Schauspielschule am Burgtheater als Schauspielerin gearbeitet. In Wien hat sie ihren Mann und zeitweiligen Kointendanten an der Rampe kennen und lieben gelernt. Dort kam ihr Sohn Jonathan auf die Welt, den sie liebevoll Joni nennt und der, ganz die Eltern, nun in Zürich an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst gelandet ist. In Wien lebt heute noch die alte Mutter. Der Sohn ist längst ausgezogen aus der gemeinsamen Wohnung über der Rampe. Die Wege von Stephan Bruckmeier und Eva Hosemann haben sich privat längst getrennt. Doch in Wien hat für sie vieles angefangen. Und so spricht die gebürtige Augsburgerin noch heute mit dieser Wiener Färbung, die so lasziv daherkommt und an der die Jahre im Schwäbischen abgeperlt sind wie Regentropfen auf einem liebevoll polierten Auto.
In Wien hat Eva Hosemann am Prater gelebt. Und immer, wenn sie ihren kleinen Sohn in die Kindertagesstätte brachte, hat sie den morgendlich verkaterten Vergnügungspark durchquert und landete auf dem Rückweg zuverlässig in der Prater-Flipperhalle. Sie liebte diese alte Baracke, in der unzählige, wohl 50, Flipper herumstanden, sie war süchtig nach den blitzschnellen Kugeln, die sie zuletzt so geschickt zu beschleunigen wusste, dass sie stundenlang mit einer Münze spielen konnte. „Ich bin ein Suchtmensch“, sagt Eva Hosemann, nippt an ihrem Sekt und zieht an ihrer Zigarette, „das hab ich von meinem Vater.“
Sie war schon weg aus Wien, weitergezogen nach Köln, als sie bei einem Besuch der Mutter mal wieder in der Flipperhalle vorbeischaute. Der Besitzer brachte unaufgefordert und wortlos den obligatorischen Kaffee, fragte nicht, wo sie gewesen sei oder wie es ihr gehe, sondern sagte nur knapp: „Dort drüben steht eine neue Maschine, die ist gut, die musst du ausprobieren.“ Das hat der Flipperqueen gefallen. Vielleicht ist das Heimat. Diese Selbstverständlichkeit, das Erkennen, die Vertrautheit, die sich nicht nach Zeit bemisst oder viele Worte braucht und die an keinen Ort gebunden ist.
Wer keine Zweifel kennt, bringt sie zum Gähnen
Immer wieder taucht Eva Hosemann in fremde Lebenswelten mit einer hemmungslosen Neugierde auf alles, was neu ist, anders, was aneckt, spröde ist, widerborstig, unbequem. Mit jeder neuen Inszenierung stürzt sie sich in die Welt der geprügelten Kinder, die zu Untertanen werden, in die Welt der Drogenabhängigen, der Reichen, der Einsamen, der Süchtigen. Und immer wieder verändert sich dadurch ihr Blick auf die Welt und die Menschen. Der Tunnelblick ist ihr verhasst, das Rechthaben und Beharren, die Menschen, die meinen, im Licht der Wahrheit zu stehen, die keine Zweifel zu kennen scheinen und sich doch nur um sich selber drehen wie ein Windrad. „Die findest du auf dem Killesberg genauso wie im Baumhaus im Schlossgarten“, sagt sie bestimmt, weil Scheuklappen nicht an politische Farben und Fahnen gebunden sind. Diese Frau hat keine Angst, sich Feinde zu machen.
Eva Hosemann ist eine Vatertochter. Sie, die als Einzelkind Tochter und Sohn in einem war, hat sich an dem autoritären Mann abgearbeitet, der besorgt bestimmend war. An ihm ist sie gewachsen, ihm, dem erfolgreichen Manager, wollte sie beweisen, dass sie seiner Achtung würdig ist, dass sie es schafft. Er war ihr Sparringspartner, hat sie gefordert, aber auch versucht zu verstehen: dass sie erst Herzchirurgin werden wollte, dann Schauspielerin, auch die junge Eva war schon für Überraschungen gut; dass sie mit 17 Jahren in die Spätvorstellung ins Theater wollte. Er hat es ihr verboten: „Das macht man nicht mit 17“, und sie nach heftigen Diskussionen doch selbst hingefahren, weil er Angst um die Tochter hatte. Auch Liebe kann erdrückend sein.
Sie war 27 und hochschwanger, als er gestorben ist. Es gab ein letztes Gespräch, Wochen vor seinem Tod, sie sollte nicht mit ansehen, wie der Krebs ihn immer mehr auffraß. „Ich gebe dich frei“, sagte er bei diesem letzten Besuch. Und meinte damit: Du musst mir nichts mehr beweisen, du musst dein Leben leben, wie du es für richtig hältst. Und Eva Hosemann war so frei. Die Rampe war 15 Jahre lang ihr Kosmos. Sie hat nicht nur die Bühne geprägt mit ihrer Experimentierfreude. Im Treppenhaus zu ihrer Wohnung über dem Theater stehen auf jeder Stufe ein Paar Schuhe wie in einer Kunstinstallation. Im Raucherzimmer wird nicht nur geraucht und diskutiert, hier zeigen sich die Schauspieler gegenseitig ihre Lieblingsfilme. Und wer über die Gleise in den Hinterhof geht, erlebt ein grünes Wunder.
Auch den Mutigen sind Gespenster nicht fremd
Hier hat die Frau mit dem grünen Daumen auf dem Asphalt eine Art Guerilla-Gardening geschaffen, hier streiten sich Tomaten, Hibiskus und Sonnenblumen in ihren Töpfen um den Schönheitspreis. Die Erdbeeren lassen ihre Triebe lässig über den Topfrand hängen, immer auf der Suche nach einem Stück Erde, wo sie sich niederlassen können. „Ich bin auch so eine Luftwurzlerin“, sagt Eva Hosemann und zupft eine Beere ab. Emma, die Mischlingshündin aus dem Tierheim, ist von ihrer Tour durchs Viertel zurückgekommen und leckt sich die Lippen.
Das Alter ist für die Frau, die ihre Unabhängigkeit liebt, eine echte Aufgabe. Wie lange kann sie noch so leben, so intensiv, so hemmungslos, mit so vielen Unsicherheiten? „Wer kümmert sich um dich, wenn du alt bist?“, fragt die 92-jährige Mutter manchmal, die immer noch allein zurechtkommt. Das fragt sich auch die Tochter manchmal und schiebt die Zweifel weg. Irgendwann will die Luftwurzlerin mit ihren Schauspieler-Freunden eine Alten-Wohngemeinschaft gründen. „Da sitzen wir dann zusammen und erzählen uns: ,Weißt du noch, wie großartig ich im Hamlet war?` “, sagt Eva Hosemann und lacht dieses laute dröhnende Lachen, das von ganz unten kommt. Doch bis dahin hat sie noch viel vor: „Ich will nicht wie eine Spinne oben in meiner Wohnung überm Theater sitzen und runterkeifen: Was machen die Jungen jetzt da?“
Während also andere mit 51 Jahren langsam die Rente ausrechnen und es sich auf dem Erreichten bequem machen, bricht Eva Hosemann noch einmal auf ins Ungewisse. Auch Mutigen sind Gespenster nicht fremd. Auch sie sieht sich manchmal alleine im Zimmer sitzen, „vereinsamt, nichts zu arbeiten, nichts zu fressen. Und dann sitze ich mir gegenüber und sage: ,Hallo, Frau Hosemann, wissen Sie, mit wem Sie es zu tun haben?` “ Eva Hosemann ist wieder unterwegs. Nicht naiv und blauäugig, nicht einmal furchtlos, aber mit einer aufgeregten Neugierde darauf, was das Leben noch Neues für sie bereithält. Eine Spielerin weiß, dass nur gewinnen kann, wer etwas riskiert.
Im Frühjahr kommenden Jahres wird zum Abschied von Eva Hosemann ein Buch erscheinen, in dem auch dieses Porträt veröffentlicht wird. Thomas Rothschild (Hg.): „Theater Rampe“, Verlag Theater der Zeit.