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Pause vom Schlafwandeln

JAZZ Mit jedem Ton im Hier und Jetzt: Das Konzert des israelischen Jazzpianisten Omer Klein mit Trio im Quasimodo ist eine Einladung, mit offenen Augen und Ohren durch die Welt zu gehen

Omer Klein beim Konzert im Quasimodo Foto: Sebastian Wells

von Lorina Speder

Um 22.30 Uhr wird der glitzernde rote Vorhang zur Seite geschoben, Omer Klein tritt mit seinen Musikerkollegen Amir Bresler und Haggai Cohen-Milo auf die Bühne. Ein kurzer Blick in das gut gefüllte Quasimodo genügt ihm, schon geht es los. Anders als erwartet setzt sich Klein aber nicht an den Flügel. Er beginnt mit Drumsticks stehend einen Beat, zu dem Bresler am Schlagzeug einsetzt. Sie formen den Rhythmus zusammen, der Bass beginnt zu knarren. Sobald Klein an das Klavier wechselt, ist die Band voll in ihrem Element. Der in Israel geborene und in Düsseldorf lebende Musiker spielt mit dem Rücken zum Publikum eine virtuose Melodie, teilweise intoniert Klein vokal unisono zum Klavier. Seine Sicht ruht entweder auf der Tastatur oder seinen Triokumpanen.

Vertrauen und Leichtigkeit

Die Musiker kennen sich aus frühen Tagen, und das merkt man. Die Chemie zwischen den Instrumentalisten stimmt, sie lachen viel und, wie Klein nach einigen Stücken anmerkt, sie haben auch nicht wirklich für den Gig geprobt. Umso mehr improvisieren sie – so auch beim zweiten Song des Abends. „Blinky Palermo“ ist ein Hit des neuen Albums „Sleepwalkers“. Der Bass beginnt den Song. Anders als auf dem Album stimmt Klein am Klavier aber nicht in die Hauptmelodie mit ein, sondern beginnt gleich mit einem Solo. Das Hauptmotiv verwertet er darin gut versteckt, als das Schlagzeug die Dynamik mit scheppernden Crashbecken anzieht.

Hier zeigen sich die einzelnen Improvisationsmeister im Trio. Die Band hat Spaß und brilliert mit Leichtigkeit. Besonders Klein sticht in dem Song heraus und trägt diesen mit neuen Einflüssen im Solo in ganz andere Sphären. Nach dem fulminanten Ende geht er zum Mikrofon, welches sonst herrenlos in der Mitte der kleinen Bühne platziert ist. Er bedankt sich, stellt das neue Album vor und erwähnt den deutschen Künstler, der hinter dem Pseudonym Blinky Palermo steckt: „Wenn ihr ihn nicht kennt, dann googelt ihn. Nur nicht jetzt.“

Klein stellt sich in seinen kurzen, aber lustigen Ansagen entschieden gegen das ständige Onlinesein: „Es würde allen guttun, weniger Zeit im Internet zu verbringen“, sagt er. Die Sleepwalkers, die er mit dem neuen Albumtitel anspricht, seien die zombieartigen Wesen, die versunken in der digitalen Welt des Smartphones ohne Bezug zum Hier und Jetzt leben.

„Es würde allen guttun, weniger Zeit im Internet zu verbringen“

Omer Klein

Wer das neue Album kennt, kommt heute Abend voll auf seine Kosten. Nach dem belebten „Blinky Palermo“ beginnt „One Step at a Time“ ruhig und baut sich langsam auf. Der Schlagzeuger beginnt mit zwei Besen behutsam zu akzentuieren, benutzt nach einer Weile deren andere Seite für einen etwas lauteren Ride-Becken-Anschlag und wechselt wie in einem Fluss zu den hölzernen Sticks, die er mit immer mehr Kraft spielt. Auf das Crescendo gehen Klein und Cohen-Milo mit fortlaufend intensiverem Spielen ein, bis das Lied mit der Hauptmelodie plötzlich wieder ruhig endet.

Darauf folgt die Ballade „Josephine“, die live einiges mehr zu bieten hat als auf Platte. Im freien Spiel kontrastieren sich Bass und Piano, das Schlagzeug unterstützt den Austausch. In der zweiten Solopassage steht Klein fast am Klavier und spielt mit vollem Körpereinsatz. Nach einem „Thank you, Berlin“ erzählt er von einem persönlichen Highlight: Seine 14 Monate alte Tochter hätte es erst kürzlich geschafft, auf Deutsch „Krokodil“ zu sagen.

Der Nachwuchs inspiriert: Der Song „Wonder and Awe“ sei daran angelehnt, die Welt so offen und unvoreingenommen wie Kleinkinder zu betrachten. In ihm kommt der Bass im Solo fast ohne Begleitung aus. Das Publikum lauscht gebannt, applaudiert dann jubelnd, als Klein in das Hauptthema von „Sleepwalkers“ übergeht. Sein Plädoyer, mehr an der realen Welt teilzunehmen, anstatt nur auf das Handy zu glotzen, ist bei diesem Konzert ohnehin erfüllt. Hier ist keiner vom Smartphone abgelenkt, niemand filmt oder macht Handyfotos. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer gilt über die eineinhalb Stunden des Konzerts ungeteilt dem großartigen Trio auf der Bühne.

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