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AfghanistanAller Augen auf Merkel

Die Stimme aus dem Ausland

von Ali M. Latifi Freier Journalist und Korrespondent, Kabul

Seit Beginn des Afghanistankriegs 2001 finden sich die Menschen in Afghanistan an mehr als drei Dutzend unterschiedliche Länder gebunden. Es ist eine grausame Ironie, dass Reisen in diese Länder für die meisten Afghanen nahezu unmöglich ist, aber die politischen Entscheidungen, die in den Hauptstädten dieser Welt getroffen werden, einen tiefgreifenden Einfluss auf ihr tägliches Leben haben.

Deutschland und Afghanistan haben eine fast hundertjährige gemeinsame Geschichte, von König Amanullah, der 1928 begeistert in Berlin empfangen wurde, bis hin zur Nato-Mission „Resolute Support“ seit 2015. Aber es war die Invasion von 2001, die unsere beiden Länder unzertrennlich miteinander verbunden hat.

Nun haben die USA ihren Zeitplan für einen Rückzug aus Afghanistan geändert, was zu mehr Jahren voller Krieg und Unsicherheit führen wird. Bei den anstehenden Bundestagswahlen blicken die Afghanen deshalb nicht nur darauf, wie sich die militärische und entwicklungspolitische Präsenz der Bundesrepublik in Afghanistan verändern könnte. Für die meisten ist der wichtigste Aspekt der deutschen Politik die Flüchtlingspolitik.

Kanzlerin Merkel sorgte für einen Hoffnungsschimmer bei Flüchtlingen weltweit, als sie 2015 erklärte, mit einem Versagen Europas in der Flüchtlingsfrage ginge seine enge Verbindung mit den Menschenrechten verloren, und die Dublin-Regelung für Syrer aussetzte. Für die Afghanen hingegen war die Hoffnung nur von kurzer Dauer, als sie merkten, dass Merkels Worte sich nicht auf sie bezogen. Tatsächlich behandelte Merkel afghanische Flüchtlinge als Wirtschaftsflüchtlinge, die in „sichere Gebiete“ zurückgeschickt werden könnten.

Trotz Merkels anzunehmendem Interesse, Flüchtlinge zu unterstützen, war Deutschland einer der Unterzeichner des EU-Abkommens von 2016, das es erlaubt, afghanische Flüchtlinge zurück in ihr Heimatland zu schicken. Zwar führte der Bombenanschlag vom 31. Mai nahe der deutschen Botschaft in Kabul zu einem Abschiebestopp. Aber dieser Stopp bedeutet nicht, dass Afghanen in Deutschland jetzt in Sicherheit leben. Noch immer warten Zehntausende von ihnen auf die Entscheidung über ihr Asylgesuch.

Martin Schulz hat Merkels Flüchtlingspolitik kritisiert und gefordert, dass mehr EU-Partner diese Bürde mittragen sollten. Das könnte erneut mehr Ärger für afghanische Flüchtlinge bedeuten. Es scheint, als sei für die Afghanen schlussendlich egal, wer in Berlin die nächste Regierung stellt – ändern wird sich für sie wenig, ob nun im Heimatland oder als Asylsuchende, die vor einem jahrzehntelangen Krieg fliehen.

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