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The germans are not so bad

ILB 6Deutschlands Zukunft in Europa wird beim Literaturfestival diskutiert. Mit dabei: der germanophile Brite Stephen Green

Es sieht nicht überall so aus wie auf meiner Facebook-Timeline, wo die Leute ständig über Deutschland schimpfen. Vergangene Woche hatte es in der SZ einen deutschlandbegeisterten Text des hiesigen Korrespondenten der französischen Zeitung Le Parisien gegeben. Und am Dienstagabend sitzt Stephen Green, der einen mehr als 300 Seiten langen, germanophilen Essay „Reluctant Meister“ veröffentlicht hat, auf dem Podium im Haus der Berliner Festspiele.

„Dear Germany“ heißt das Buch auf Deutsch, und unter diesem Motto diskutiert der britischer Banker und Exminister auch mit dem Historiker Etienne François, dem polnischen Publizisten Adam Krzemiński und dem Militärhistoriker Sönke Neitzel über Deutschlands Zukunft in Europa. Moderiert wird die Runde vom ehemaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann.

Gut gelaunt stellt Naumann den Gast François mit den Worten „wie der Name schon sagt, ein Franzose“ vor, und dann über Green: „Sehr verstörend – ein Engländer, der uns liebt.“ Warum bloß? Der Engländer antwortet mit deutschen Wörtern, die im Englischen gern verwendet werden wie „Poltergeist“, „Schadenfreude“, „Zeitgeist“ und „Blitzkrieg“, mit Goethe sowie deutscher Philosophie und Musik.

Etienne François wird gefragt, ob er sich nicht freue, dass „der alte Feind“ nun Europa verlasse? Nein, entgegnet er, im Übrigen bliebe Großbritannien trotzdem ein europäisches Land: „Das ist das Entscheidende.“ Adam Krzemiński sagt, es gäbe zwar auch in Polen Leute, die ähnlich wie die Brexit-Befürworter in England dächten, aber insgesamt seien seine Landsleute mehrheitlich pro-EU. Und je radikaler sich die Regierung äußere, desto größer sei in der Bevölkerung die Bewunderung für Deutschland. 72 Prozent der polnischen Bürger hielten die Reparationsforderungen an das Nachbarland für falsch.

Sönke Neitzel meint, Deutschland sei immer zu groß oder zu klein. Während für andere Länder die Nation der selbstverständliche Rahmen sei, fühlten sich 30 Prozent der Deutschen aus verständlichen Gründen eher als Europäer. François spricht in der Folge vom „Riesenpotenzial“, das in der Diversität Europas liege, von Partnerschaften mit Afrika und einer kreativen Zuwanderungspolitik.

Die Debatte kommt schließlich auf die militärische Rolle europäischer Staaten. Naumann findet es falsch, dass die Bundeswehr im Diskurs keine Rolle spiele, und bedenklich, dass Griechenland viermal so viel (deutsche) Panzer habe wie Deutschland. François träumt von transnationalen Rüstungskonzernen. Eine Weile plaudert man über das Militär, bis jemand sagt: „Können wir das Männerthema mal lassen?“Woraufhin Green insistiert, dass man zu wenig von den Erfolgen der EU spreche: „Wir sind mitten auf der Reise.“

Detlef Kuhlbrodt

Das Internationale Literaturfestival Berlin (ilb) läuft noch bis 16. September. In unserer ilb-Kolumne berichten unsere Autoren von den Lesungen und Diskussionen

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