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Die Schönheit des Sinnlichen

ILB 4 „Mir war es wichtig, Sexualität im Comic aus weiblicher Perspektive zu schildern“: Die österreichische Comiczeichnerin Ulli Lust stellt beim Literaturfestival ihre neue, autobiografische Graphic Novel vor

Ulli Lust Foto: Suhrkamp Verlag

von Annika Glunz

Die österreichische Comiczeichnerin Ulli Lust ist für „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ (2009), einen Zeichnung gewordenen Roadtrip, zu Recht gefeiert worden. Nun hat sie eine dokumentarische Graphic Novel verfasst, die – sowohl Inhalt als auch ihren Entstehungsprozess betreffend – bemerkenswert ist: In „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“ schildert die Autorin den Weg einer experimentierfreudigen Anarchistin im Wien der neunziger Jahre. Am Sonntagnachmittag sprach sie im Rahmen des „Graphic Novel Day“ auf dem Internationalen Literaturfestival mit Tagesspiegel-Redakteur Lars von Törne über autobiografische Stoffe und ihren eigenen Umgang damit, über den Schutz der Privatsphäre von ProtagonistInnen – und auch über aktuelle politische Entwicklungen in Österreich.

Ulli Lust schreibt über eine Dreiecks­beziehung mit zwei Männern

Direkt zu Beginn des Gesprächs machte die Autorin klar, wie stark autobiografisch geprägt ihre neue Erzählung ist: Lust präsentiert ihren LeserInnen einen Ausschnitt aus ihrem eigenen Leben, und zwar einen, der sehr prägnant für sie gewesen sein dürfte: Über Jahre hinweg führte die junge Künstlerin eine Dreiecksbeziehung mit zwei Männern, dem 20 Jahre älteren Georg und dem aus Nigeria nach Österreich immigrierten Kimata. Diese ihre Story birgt viel Konfliktpotenzial: Nachdem die Protagonistin Kimata geheiratet hat, um ihm eine Aufenthaltsgenehmigung zu verschaffen, wird dieser zunehmend gewalttätig. „Beim Schreiben habe ich mich gefragt, ob es in Anbetracht dieser großen nationalistischen Welle in Österreich überhaupt vertretbar ist, in dieser Weise einen Migranten darzustellen, der einen Fehler macht“, erzählt sie. Am Ende aber blieb sie bei ihrem Vorhaben, wahrheitsgetreu zu schreiben. „Es würde doch nichts helfen, die Wahrheit zu vertuschen. Es gibt die Integration von Geflüchteten betreffend noch eine Menge zu tun, auch und gerade was das Verständnis der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau betrifft. Das ist einfach so. Davor sollten wir nicht die Augen verschließen. Ich glaube auch, dass es ganz gut ist, Irritationen, die bei der Konfrontation mit ‚dem Fremden‘ passieren können, zu thematisieren.“ Der autobiografische Ansatz ist bei ihr eng verwoben mit der sozialpolitischen Relevanz ihres Themas.

Da sich in „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“ vieles um die Dreiecksbeziehung der Autorin und ihre Selbstbefreiung dreht, wird Sexualität im Buch häufig thematisiert und grafisch dargestellt – herausgekommen sind dabei sehr ästhetische, zum Teil ganze Seiten füllende Illustrationen, die auch für sich stehen könnten: „Zeichnungen haben eine ganz bestimmte Eleganz, die Fotos nicht haben können“, erklärt Lust ihre Leidenschaft für das Grafische und: „Mir war es wichtig, Sexualität im Comic aus weiblicher Perspektive zu schildern – das passiert nämlich viel zu selten.“ Auf ein Problem stieß die Autorin jedoch während ihrer Arbeit: „Als ich Kimatas Gewaltausbrüche darstellen wollte, merkte ich, dass ich enorme Schwierigkeiten habe, Kampfszenen zu zeichnen.“

Die Sonne scheint auf der Tanzfläche Foto: Abb. aus Ulli Lust: „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“

Es ist also vor allem eine sinnliche Geschichte, die die Autorin in ihrer aktuellen Graphic Novel schildert, daher auch die gedämpften Rosatöne, die sich durch die komplette Geschichte ziehen. Neben rein dokumentarischen finden sich hier auch abstrakte, Stimmung erzeugende Szenen: „Das Schöne an solchen Szenen ist ihr metaphorischer Gehalt. Für mich sind sie eine Ode an die Schönheit des Sinnlichen“, so Lust.

Am Ende öffnete von Törne das Gespräch für Fragen aus dem – auffallend jungen – Publikum. Ob denn vonseiten der Autorin auch das Interesse bestehe, pornografische Comics zu veröffentlichen, fragte ein Zuhörer. „Klar“, kam es schlicht und direkt von der Bühne zurück.

Das Internationale Literaturfestival Berlin (ilb) läuft vom 6. bis 16. September. In unserer ilb-Kolumne berichten unsere Autorinnen und Autoren von den Lesungen und Diskussionen

Das Buch: Ulli Lust: „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“. Graphic Novel, Suhrkamp Verlag, 367 Seiten, 25 Euro

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