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Kanzlerin Merkel tritt 2019 zurück

Debatte Was die deutsche Politik in den nächsten vier Jahren beschließen wird,wovon die Wähler heute noch nichts ahnen können: acht denkbare Szenarien

Foto: Amélie Losier
Ulrike Herrmann

ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz. Ihr neuestes Buch: „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung“ (Westend 2016).

von Ulrike Herrmann

Banal, aber wahr: „Es kommt immer anders als gedacht.“ Für Wahlkämpfe gilt diese Binse ganz besonders. Egal was vorher versprochen oder debattiert wurde – hinterher staunt der Bürger, was das Parlament beschließt.

Eine kleine, unvollständige Rückschau: Rot-Grün senkte bis 2005 den Spitzensteuersatz auf 42 Prozent, führte die Riester-Rente und Hartz IV ein. Die Große Koalition erhöhte 2007 die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent. Schwarz-Gelb senkte sie 2010 für Hotels auf 7 Prozent und stieg 2011 aus der Atomenergie aus. Die jetzige Koalition öffnete die Grenzen für rund eine Million Flüchtlinge. Nichts davon stand in den Wahlprogrammen.

Es ist daher eher unergiebig, Wahlkämpfe im Detail zu verfolgen. Viel spannender ist, was in den nächsten vier Jahren passieren könnte und wie die künftige Regierung wohl reagiert.

Hier wären acht denkbare Szenarien:

1. Immobilien werden weiter teurer; die Mieten steigen ungebremst. Studenten finden keine bezahlbaren Zimmer mehr; junge Familien wissen nicht, wohin, und viele Rentner müssen aus Wohnungen ausziehen, die sie seit 40 Jahren lieben. Es kommt zu Protestmärschen in den Großstädten. Die Wette: Die Bundesregierung erlässt neue Gesetze, um die Mieten zu deckeln. Denn etwa 50 Prozent der Deutschen wohnen zur Miete, dieses Wählerpotenzial kann niemand ignorieren (außer der FDP, aber die wird dann einfach überstimmt).

2. Die Eurokrise geht unverändert weiter, daher bleiben auch die Zinsen niedrig. Immer mehr Lebensversicherer geraten in Schwierigkeiten. Die Sparer werden unruhig und sorgen sich um ihre Policen. Die Wette: Die Regierung bastelt an einem Rettungspaket, um die „systemrelevanten“ Finanzkonzerne zu unterstützen. Bei diesem Szenario ist allerdings möglich, dass es sich noch länger hinzieht und erst in der übernächsten Legislaturperiode relevant wird.

3. Die deutschen Exportüberschüsse, so viel ist jetzt schon sicher, werden 2017 neue Rekordhöhen erreichen. Das Ifo-Institut prognostiziert, dass das deutsche Plus in diesem Jahr bei 285 Milliarden Dollar liegen wird. Das ist weltweit einmalig, denn China kommt nur auf einen Exportüberschuss von 190 Milliarden Dollar und Japan auf 170 Milliarden. Die internationale Wut auf Deutschland wächst. Nicht nur Trump redet sich in Rage, auch die EU-Kommission greift plötzlich durch. Anders als in den vergangenen Jahren pocht sie darauf, dass Deutschland seinen Exportüberschuss auf maximal 6 Prozent der Wirtschaftsleistung drückt. Die Wette: Widerwillig verordnet der inzwischen 75-jährige CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble, dass man Abschied von der „schwarzen Null“ nimmt, um ein staatliches Investitionsprogramm in Milliardenhöhe zu finanzieren und die Importe anzukurbeln.

4. Der Brexit kommt doch nicht – ohne dass es irgendjemand konkret entschieden hätte. Es passiert einfach. Zwar gibt es immer wieder Verhandlungsergebnisse zwischen der EU und den britischen Unterhändlern, aber in Westminster fehlen die Mehrheiten, weil die Tories sich untereinander nicht einigen können. Labour hat auch kein tragfähiges Konzept. Der 29. März 2019 verstreicht, womit die zweijährige Kündigungsfrist vorbei ist. Eigentlich hätten die Briten dann die EU verlassen müssen, aber – so die Wette – alle Beteiligten tun, als wäre nichts geschehen. Die Briten bleiben einfach, indem sie ihren Austrittsantrag zurücknehmen. Auch die Bundesregierung hält sich mit Kommentaren zurück.

5. Der türkische Präsident Erdoğan wird immer unberechenbarer. Einseitig kündigt er das Abkommen mit Kanzlerin Merkel auf, gegen Milliardenzahlungen Flüchtlinge davon abzuhalten, nach Griechenland überzusetzen. Hunderttausende Syrer landen in wenigen Wochen auf den Inseln Lesbos, Chios und Kos. Darunter sind auch viele Menschen, die bereits Familienangehörige in Deutschland haben. Die Balkanroute ist jedoch geschlossen; die Bürgerkriegsflüchtlinge stecken in Griechenland fest. Die Bundesregierung steht vor einer Zerreißprobe: Es ist offensichtlich, dass Griechenland überfordert ist. Genauso offensichtlich ist, dass es humanitär geboten ist, wenigstens eine Familienzusammenführung zu gestatten. Die Wette: Die Bundesregierung entscheidet sich für ein Sowohl-als-auch. Wer engste Angehörige in Deutschland hat, darf einreisen. Der Rest muss in den griechischen Lagern leiden, um weitere Flüchtlinge abzuschrecken.

6. US-Präsident Donald Trump wird bis Mitte 2018 entfernt, weil die Republikaner fürchten, sonst die Wahlen im November 2018 zu verlieren. Trumps Vize Mike Pence wird der neue Präsident, doch für Europa ändert sich nichts. Die USA sind noch immer mit sich selbst beschäftigt und ansonsten unberechenbar. Wette: Die Bundesregierung übernimmt außenpolitisch trotzdem keine Verantwortung. Militäreinsätze sind bei den Wählern, zu Recht, sehr unpopulär.

Es ist unergiebig, Wahlkämpfe zu verfolgen. Spannender ist, was in den nächsten vier Jahren passieren könnte und wie die Regierung reagiert

7. China trudelt in eine Wirtschaftskrise und senkt seine Importe. Weltweit kommt es zu Turbulenzen, weil die Nachfrage aus China fehlt. Dies löst in Europa eine neue Finanzkrise aus, weil die Banken noch immer sehr labil sind. Die Bürger sind empört, dass die Banken schon wieder staatliche Hilfen benötigen. Wette: Jetzt kommt die Finanztransaktionsteuer, die schon fertig in den Schubladen des deutschen Finanzministeriums liegt.

8. Kanzlerin Angela Merkel tritt im Sommer 2019 zurück, damit sich ihr Nachfolger noch zwei Jahre profilieren kann, bevor die nächste Bundestagswahl ansteht. Bei dieser Personal-Rochade gehen Jens Spahn und Karl-Theodor zu Guttenberg leer aus, obwohl sie ständig an ihrer medialen Selbstinszenierung gearbeitet haben. Stattdessen wird Peter Altmaier der neue Kanzler, gerade weil er so verlässlich ruhig ist. Die CDU setzt auf einen männlichen Merkel.

Aber wer weiß?

Vielleicht kommt es auch zu einem Krieg mit Nordkorea, oder Italien tritt aus dem Euro aus, oder die deutschen Autokonzerne gehen pleite, weil jeder einen Tesla will. Sicher ist am Ende nur, dass es anders kommen wird als gedacht.

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