LeserInnenbriefe
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Souverän, klug und eloquent

betr.: „Schon im Wahlkampfmodus“, taz vom 6. 9. 17

Stehende Ovationen hat Norbert Lammert in der letzten Plenarsitzung erhalten, völlig zu Recht und gewiss nicht nur für seine bemerkenswerte Abschiedsrede als Mitglied und Präsident des Deutschen Bundestages.

Lammerts überaus souveräne, kluge und eloquente Beiträge werden im Parlament, werden der deutschen Politikkultur insgesamt, spürbar fehlen. Und natürlich wäre er als einer der wenigen echten und zur überparteilichen Kommunikation fähigen Vordenker in diesen oftmals recht diffusen, vernunftinstabilen Zeiten für das höchste Staatsamt in einem besonderen Maße prädestiniert gewesen. MATTHIAS BARTSCH, Lichtenau-Herbram

Staatsbürgerkundliche Nachhilfe

betr.: „Die Jahre der Räuberin“, taz vom 7. 9. 17

Georg Löwisch reiht sich mit seiner Merkel-Fixierung in die Reihe zahlreicher taz-Redakteure ein, die nicht begriffen haben, dass es in einer parlamentarischen Demokratie bei der Bundestagswahl nicht um das Kanzleramt geht, sondern mittels unserer Erst-und Zweitstimme auf dem Wahlzettel ausschließlich um die Zusammensetzung des Parlaments mit unseren Volksvertretern aus Wahlkreisen und Landeslisten. Der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat es doch uns allen ins Stammbuch geschrieben: „Das Parlament ist die Herzkammer der Demokratie“ – also nicht das Kanzleramt.

Mit anderen Worten: Anders als in einer Präsidialdemokratie wie in Amerika, Russland, Frankreich (oder demnächst in der Türkei) ist bei uns das Parlament als gesetzgebende Gewalt und als Zentrum der politischen Debatten viel wichtiger als die Regierung – denn es bestimmt eigentlich das Programm und die Richtlinien der Politik. Es bedarf keines eigenen „Regierungsprogrammes“. Die politische Richtlinienkompetenz der Kanzlerin beschränkt sich auf die Weisungsbefugnis gegenüber ihren Ministern. Ihre politischen Handlungsaufträge erhält sie vom Parlament und hat ansonsten als Exekutivorgan die dort beschlossenen Gesetze auszuführen und umzusetzen.

Nicht ohne Grund stehen in der Rangordnung der Staatsämter die Präsidenten von Bundestag und Bundesrat über der Kanzlerin. So viel zur staatsbürgerkundlichen Nachhilfe für die taz-Redaktion und die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, die mit ihrem spektakulären „Kanzlerduell“ den Wählerinnen und Wählern suggerieren möchten, sie könnten in einer Art Direktwahl die Regierungschefin oder die Regierung wählen. Dabei findet die Kanzlerwahl durch den Bundestag statt und die Ernennung durch den Bundespräsidenten. WILHELM NEUROHR, Haltern am See

Dahinsiechende Parteien

betr.: „Büroleiter in den Bundestag“, taz vom 4. 9. 17

Die „Professionalisierung“ der Wahlkandidaten trifft vor allem die „grüne“ Partei. Deren Wähler erwarten zumindest teilweise Rotation, Erneuerung, Bewegung. Koalitionen mit eigentlich einer auch regional ziemlich abgewirtschafteten CDU wie in Baden-Württemberg oder Schleswig-Holstein oder einer rechten SPD wie in Hamburg enttäuschen die meisten alternativen Wähler.

Das ist ein Ergebnis eines von dahinsiechenden Parteien dominierten parlamentarischen Systems, bei dem die Kandidaten vor allem durch Anpassung und Gehorsam nach oben kommen und nur begrenzt die Interessen ihrer öffentlichen Wähler berücksichtigen. Oder wie ist zu erklären, dass eine eigentlich mausetote FDP nach einiger Zeit wieder als eine Alternative zu CDU, SPD und Grünen angesehen wird?

Die Wirtschaftshörigkeit, wie sie am eindringlichsten bei der CSU und Kretschmann offenbar wird, verhindert die Erreichung jedweder Klimaziele. Einzelne Lichtgestalten wie Robert Habeck (in gewisser Weise auch Angela Merkel, schließlich wird ihr niemand eine Nähe zur Korruption nachsagen können) geben dieser Form von „Demokratie“ nur ein Alibi.

Wie gelingt es, die echten Anliegen wie den Klimaschutz oder das bedingungslose Grundeinkommen als Antwort auf die Digitalisierung, die Demokratisierung des Bildungswesens wieder zu einem Anliegen zu machen, das auch effektiv in den Parlamenten behandelt wird? Kann 1968 ein Vorbild für eine „neue“ Bewegung sein? Welche Perspektiven bietet diese Überflusswirtschaft überhaupt noch, in der demnächst auch kaum noch Profite gemacht werden können? DIETMAR RAUTER, Kronshagen

Migration aus Afrika

betr.: „Der Wunsch zu migrieren ist völlig normal“, taz vom 6. 9. 17

Die Migration ist nicht nur völlig normal: Ohne die Migration des Homo sapiens aus Afrika wäre es diesem nicht gelungen, alle Kontinente der Erde zu besiedeln. Und erst die Migration von neolithischen Menschen aus der nördlichen Ägäis um 8000 v. Chr. brachte Sesshaftigkeit, Landwirtschaft und Tierhaltung nach Europa, Errungenschaften, die bereits vor 10.000 Jahren im „Fruchtbaren Halbmond“ (also zwischen Südostanatolien, Syrien, Nordirak und Iran) ihren Ursprung hatten.

Diesen frühen MigrantInnen folgten um 5000 v. Chr. weitere Gruppen, was wiederum zu einem Austausch von Kulturgütern und Kenntnissen führte. Europa hat also schon sehr früh von den MigrantInnen profitiert, was auch zum Gen-Austausch führte, wie die heutige Notiz über die „wandernden Frauen“ erkennen lässt. Das führt zu unserem Finanzminister Schäuble, der fürchtete, „Abschottung würde Europa in Inzucht degenerieren lassen“. HELGA SCHNEIDER-LUDORFF, Oberursel