: Der Mensch ist ein kosmisches Wesen
Ausstellung Auferstehung aller Menschen und Besiedelung fremder Planeten – absurd? Oder hilft der Russische Kosmismus, die Avantgarden zu verstehen? Das Haus der Kulturen der Welt will aufklären
von Katja Kollmann
Die Kamera fängt den stillgelegten Förderturm mit dem verblichenen Stern an der Spitze ein und lässt ihn nicht mehr los. Sie umkreist den Stern endlos und gibt gleichzeitig den Blick frei auf die Weite der schwarz-weiß gezeichneten Landschaft. Unterlegt ist dieses Bild mit einer manipulativen Männerstimme, die zur endgültigen Entscheidung zwischen Tod und Leben auffordert.
Anton Vidokle lässt hier sein Filmessay „The Communist Revolution Was Caused By The Sun“ enden. Der Kurzfilm des New-York-Berliners zeigt vorher in Farbe den Gedenkraum für den sowjetischen Biophysiker Alexander Tschischewski im ehemaligen Straflager Karaganda in Kasachstan und reflektiert visuell klug dessen Forschung zum Einfluss von Solaremissionen auf den Menschen. Tschischewski ging von zyklisch ab- und zunehmenden Solaremissionen aus und stellte dies in Beziehung zur periodisch wiederkehrenden Bereitschaft von Gesellschaften zu Krieg und Revolution.
Die zyklische Wiedererweckung aller Toten und die Besiedlung von anderen Planeten wiederum war Nikolai Fjodorows Vision. Fjodorow, dessen Ideen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verwurzelt sind, gilt als Gründer des Russischen Kosmismus. Dieser Kunst- und Denkströmung widmet das Haus der Kulturen der Welt die Ausstellung „Art Without Death: Russischer Kosmismus“. Anton Vidokles Filmtrilogie „Immortality for All“ aus den Jahren 2014, 2015 und 2017 werden Bilder der russischen Avantgarde gegenübergestellt. Arseny Zhilyaevs Installation „Intergalactic Mobile Fedorow“ ist eine kleine Bibliothek und lädt zum Textstudium der Theoretiker des Russischen Kosmismus ein. Eine zweitägige Konferenz versammelte Wissenschaftler und Künstler, die verschiedene Herangehensweisen an diese international wenig beachtete Bewegung vorstellten.
Das zentrale Motiv des Kosmismus: die Wiederauferstehung der gesamten Menschheit und somit die Negierung das Todes sowie daraus folgernd die Aufhebung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft waren die Hauptdiskussionsgrundlage. So sah der deutsche Historiker und Slawist Michael Hagemeister in der Idee einer durch den Menschen technisch ermöglichten Unsterblichkeit gefährliche Allmachtsfantasien.
Die Kosmisten ersetzen den Glauben an eine höhere Macht durch einen radikalen Atheismus, verbunden mit Technikbegeisterung und der Idee einer neuen sozialen Ordnung, die dem Kommunismus ähnelte. In den Museen sollten die für die Wiedererweckung nötigen Überreste der Toten konserviert werden.
Vidokle, der aus Moskau stammt, widmet den letzten Film seiner Trilogie Fjodorows Essay über die Bedeutung des Museums als Ort der Wiederauferstehung. Dieser Text, der den 1880er Jahren entstammt, klingt zeitlos, wenn er die Rolle der Museen als Konservator der Vergangenheit benennt. Anton Vidokle lässt seine Protagonisten durch Moskauer Museen schlendern, sie betrachten versonnen Tierskelette oder auch Uniformen aus dem Ersten Weltkrieg. In der Tretjakow-Galerie bleiben sie vor Malewitschs „Schwarzem Quadrat“ stehen.
Dies ist das Schlüsselwerk des Suprematismus, als dessen Gründer Kasimir Malewitsch bezeichnet wird. Das „Schwarze Quadrat“ als neuer Kosmos manifestiert mitten im Ersten Weltkrieg den Aufbruch der Kunst zu etwas radikal Neuem. Im Haus der Kulturen der Welt sind auch Bilder von Alexander Rodtschenko, Alexej Krutschonych und Olga Rosanowa, Kliment Redko und Gustav Klunis ausgestellt, ausgeliehen vom Staatlichen Museum für zeitgenössische Kunst Thessaloniki, das mit der Sammlung Costakis die meisten Werke der Russischen Avantgarde außerhalb Russlands besitzt.
Die Gemälde, die der Philosoph und Essayist Boris Groys ausgewählt hat, haben eine unglaubliche Leichtigkeit. All die Formen scheinen zu schweben, auch wenn Alexander Krutschonych und Olga Rosanowa ihre Papiercollagen-Mappe im Jahr 1916 „Der universelle Krieg I–IX“ nennen. Alexander Rodtschenko stellt 1920 zwei wunderbar leichtfüßige Roboter aus Formen zusammen, und Iwan Kljun malt circa 1923 das „Rote Licht, sphärische Komposition“. Später stellt Alexander Tschishnewski in der Lagerhaft allgemeingültig fest: Der Mensch ist nicht nur ein irdisches, sondern auch ein kosmisches Wesen. Heute biegen sich russische Nationalisten diese Ansicht so zurecht, dass sie in ihren Mikrokosmos passt, erfährt man auf der Konferenz. Und Vidokles Filme wirken therapeutisch durch die ganz spezielle Sicht der Kamera, die wie von einem anderen Planeten aus diese, unsere Welt betrachtet.
Noch bis 3. 10., Haus der Kulturen der Welt
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