piwik no script img

Ein Treffen mit dem U20-Nationalteam

JUGEND MUSIZIERT Beim Musikfest Berlin ist kommende Woche das Bundesjugendorchester zu Gast. Trompeter Ole Lux, 19, und Violinistin Amelie Wallner, 18, berichten

von Katharina Granzin

„Vielen geht das so, wenn man noch sehr jung ist, dass man denkt, die im Bundesjugendorchester sind alle so Halbgötter“, sagt Ole Lux. „Das war für mich was, wovon ich geträumt hatte, aber nie gedacht hätte, dass das wirklich mal so wird.“ Ole ist 19 Jahre alt und spielt Trompete in ebendiesem vermeintlichen Halbgottorchester; später am Abend wird er im Konzert die Solostellen übernehmen. Aber er ist, verglichen mit anderen, noch nicht so lange dabei, sondern erst seit zwei Jahren. Anders die Geigerin Amelie Wallner, die neben ihm sitzt. Sie zählt mit ihren 18 Jahren schon zu den Urgesteinen im En­semble und hat es bis zur Konzertmeisterin gebracht. Mit 13 hat sie das Probevorspiel bestanden. Auch Ole hatte damals schon eine Einladung zum Vorspiel, aber sein Lehrer sagte, er solle erst einmal Orchestererfahrung sammeln. So spielte der junge Trompeter noch ein paar Jahre im Landesjugendorchester Baden-Württemberg, bevor er sich endgültig der musikalischen Bundeselite anschloss.

Die beiden sind vom Orchestervorstand ausgewählt worden, sich der Journalistin als Interviewpartner zur Verfügung zu stellen. Wir sitzen auf der Dachterrasse eines Berliner Hotels. Im Hintergrund blinken Siegessäule und Fernsehturm. Internationales Sprachengewirr summt um uns herum. Amelie und Ole ficht nichts davon an. Sehr präsent, sehr entspannt wirken beide; dass am selben Abend im Rahmen des „Young Euro Classic“-Festivals ein großes Konzert im Konzerthaus ansteht, hinterlässt jedenfalls keine sichtbaren Spuren der Anspannung. Allerdings ist man nach so vielen Jahren im Konzertbetrieb auf Landes- und Bundesebene wahrscheinlich schon so sehr in quasiprofessionellen Fahrwassern, dass die Nervosität vor Auftritten sich in Grenzen hält.

Im Bundesjugendorchester spielen die besten jungen MusikerInnen (U20) des gesamten Landes. Ausschlaggebend für die Aufnahme sind dabei nicht die gesammelten musikalischen Meriten und Preise, sondern das bestandene Probevorspiel. Wenn man bei „Jugend musiziert“ auf Bundesebene auf den vorderen Plätzen lande, werde man automatisch zum Vorspiel eingeladen, erklären Amelie und Ole. Andererseits sei ein Erfolg bei „Jugend musiziert“ keine Voraussetzung; am Probevorspiel teilnehmen könne prinzipiell jede und jeder.

„Wir nehmen jedes Jahr so um die dreißig bis vierzig Neuzugänge auf“, erläutert Sönke Lentz, amtierender Direktor des Orchesters, „und gliedern diese Jüngsten danach allmählich in den Orchesterbetrieb ein.“ Natürlich ist die Mehrfachbelastung der Orchestermitglieder nicht ohne. Es gibt mehrere mehrwöchige Probephasen im Jahr, zudem jedes Jahr eine längere Sommertournee. Vor dem Auftritt bei Young Euro Classic in Berlin waren die Jugendlichen eine Woche auf Schloss Weikersheim, um Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ zu spielen – allein das bedeutete eine insgesamt vierwöchige Arbeitsphase. Und in der Woche nach dem Auftritt bei Young Euro Classic steht eine Reise in die Ukraine und das Zusammentreffen mit einem dortigen Jugendorchester an. Der krönende Abschluss des Sommers schließlich wird – zumindest für eine kleine Auswahl der MusikerInnen – ein gemeinsamer Auftritt mit dem berühmten Amsterdamer Concertgebouw Orchester auf dem Musikfest sein.

Solche und solche Lehrer

Aber wie schafft man das eigentlich praktisch? Bei mehrwöchigen Probenphasen wird es doch immer der Fall sein, dass ein Teil des Orchesters gerade keine Ferien hat und Schule versäumt? Amelie und Ole grinsen. Offenbar ein oft besprochenes Thema. „Ich hatte damit nie Probleme“, sagt Amelie, die in Augsburg ein musikbetontes Gymnasium besucht hat, „aber es gab schon auch Fälle, wo die Leute einfach nicht mitfahren durften.“ Ole sagt, er hätte schon so gewisse Schwierigkeiten gehabt. Dabei ging er in Tübingen auf eine Waldorfschule. „Aber das hängt ja auch von den einzelnen Lehrern ab. Es gibt solche, die finden das super, und dann gab es welche, die haben das ein bisschen persönlich genommen, wenn man nicht in ihrem Unterricht war.“

Musikfest Berlin

Am gestrigen Donnerstag ist das Musikfest Berlin eröffnet worden. Bis zum 18. September finden fast täglich Konzerte statt, die meisten in der Philharmonie. Das Bundesjugendorchester wird dort am 6. September um 20 Uhr ein gemeinsames Konzert mit dem Royal Concertgebouw ­Orchestra Amsterdam spielen. Das gesamte Programm unter: www.berlinerfestspiele.de

Wenn solche Lehrer zum Beispiel am selben Abend im Konzerthaus hätten dabei sein können, hätten sie vielleicht verstanden, dass das Spielen im Orchester kein bloßes Spaß­event ist, das die Jugendlichen vorschieben, um mal den Chemieunterricht schwänzen zu dürfen. Das Konzert bei Young Euro Classic steht unter dem Motto „Märchen und Helden“. Ein vielseitiges, anspruchsvolles Programm ist es, das Alfred Schnittkes wundersam-schöne Musik zu dem surrealistischen Film „Die Glasharmonika“ ebenso umfasst wie eine effektvolle Orchestersuite, die Elliott Goldenthal aus seinem Soundtrack zu den Batman-Filmen zusammengestellt hat. Ausschnitte aus Humperdincks „Hänsel und Gretel“ sind dabei, und sogar an Modest Mussorgskis anspruchsvolle Orchestersuite „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“ wagen die jungen MusikerInnen sich unter dem Dirigat von Patrick Lange heran. Dazu sind Filme und Zeichnungen zu sehen. Ganz in klassischer Orchestertradition schwarz-weiß gekleidet, sehen die Jugendlichen nicht viel anders aus als eben ein ganz normales Orchester und klingen ebenso souverän. Allein am Bewegungsmuster einzelner Personen lässt sich ablesen, dass hier noch deutlich größere Begeisterung am Werke ist als bei den dann doch schon abgeklärteren erwachsenen ­KollegInnen der Berufsorchester.

Im Schnitt werden um die 83 Prozent der Orchestermitglieder später BerufsmusikerInnen. Auch für Ole und Amelie ist klar, dass etwas anderes für sie nicht infrage kommt. Amelie hat schon einen Studienplatz in der Tasche, Ole lässt sich auch damit mehr Zeit und will sich erst einmal ein Jahr lang gründlich auf das Studium vorbereiten.

Zunächst aber freuen sich beide sehr auf das, was sie als Höhepunkt ihres musikalischen Jahres betrachten: den gemeinsamen Auftritt mit dem ­berühmten Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam beim Musikfest Berlin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen