: Abstraktes und gegenständliches Dazwischensein
AusstellungVom Gefühl der Fragmentierung: Surya Gieds Schau „Looking into the Distance Becomes Difficult“ in der Galerie Wedding
Betritt man den großen Raum der Galerie Wedding, kann es sein, dass man sich fühlt wie in einem riesigen, mehrgliedrigen Mobile. Die farbigen Elemente an ihm schweben in unterschiedlichen Höhen, teilweise einen halben Meter über dem Galerieboden. Umringt von den farbigen, sich drehenden Fragmenten an dünnen Schnüren, erblickt man weitere Teile im Raum. Sie sehen aus wie in Holz geschnittene Umrisse von US-Bundesstaaten. Zwischen den Heizungsrohren an der Fensterfront kommen diese Elemente in Farbe zum Vorschein. Diese Bruchstücke setzen sich in Surya Gieds Bildern fort. In ihrer neuen Ausstellung, „Looking into the Distance Becomes Difficult“, geht es um Fragmentierungen.
Spricht man mit der deutschkoreanischen Künstlerin, erfährt man viel über ihre Sicht aufs „Dazwischen“. Die 1980 geborene Malerin verbrachte ihre ersten Lebensjahre in Südkorea. Als sie im Grundschulalter nach Deutschland kam, wollte sie unbedingt dazugehören. „Ich fühlte mich zuerst fremd. Um dagegen vorzugehen, habe ich in drei Monaten die deutsche Sprache erlernt und mein Koreanisch komplett vergessen. Bewusstes Negieren. Ich wollte kein Koreanisch mehr sprechen, ich wollte einfach keine Außenseiterin sein. Das war ich schon in Südkorea. Dort sah ich nicht koreanisch, sondern westlich aus“, sagt Gied. „Ich glaube, deshalb interessiert mich das Dazwischensein.“
Zur Zeit der Flüchtlingskrise 2015 befand sich die Künstlerin in den USA und unterrichtete in Iowa als Dozentin an einer Kunsthochschule. Mitten in „Trumpland“, wie sie es nennt, erfuhr sie von der zu Hause laufenden Flüchtlingsdebatte. Weit weg, dennoch überwältigt von den medialen Bildern, begann sie die Serie, deren Titel die Ausstellung trägt. Zum ersten Mal malte sie nicht nur abstrakt. Ihre zuvor architektonischen Farbflächen wurden somit assoziativer. „Es war der Versuch, etwas auszudrücken, das man auch erkennen könnte“, kommentiert Gied die Bilder im ersten Ausstellungsraum. Vor allem dort nimmt man die angedeuteten menschlichen Züge, Bootsumrisse oder Gliedmaßen in Farbelementen wahr. Doch auch wenn man die Anspielung auf Geflüchtete versteht, ist Gied eines wichtig: „Schicksale berühren mich sehr, aber ich wollte die Debatte nicht für meine Kunst ausbeuten. Es geht mir schon darum, ein Licht auf das Thema zu werfen – aber eher auf einer universellen und emotionalen Ebene. Letztendlich kennen alle das Gefühl von Fragmentierung, Getrennt- und Alleinsein.“
Beruhigend, dass Gied die Debatte über Geflüchtete nicht ausschlachtet, um Aufmerksamkeit zu erregen. Betrachtet man die Gemälde, wird klar, dass es hier um Gieds künstlerischen Ausdruck gehen soll. Die immer wieder auftauchenden Fragmente in der Ausstellung sind mehrdeutig. Sie bilden Konstrukte, die sich stützen, aber auch ganz leicht zusammenfallen können. In der Summe geben sie einen Überblick über die Gedankenwelt der Künstlerin. Erklärt sie die Bilder, werden abstrakte Puzzleteile zu Demonstranten gegen Trump und zu einer weiblichen Figur, die ihr Gesicht mit der Hand stützt. Als Vorlage diente ihre Mutter, deren Physiognomie man in den Fotografien entdecken kann. Es sind Pressefotos und persönlichen Familienaufnahmen aus den 60er Jahren, die Gieds Gemälde inspirierten. Dank dem Offenlegen dieser Bezugsquellen kann man nach Betrachtung der Bilder versuchen, die Vorbilder für die einzelnen Werke im Raum zu finden. So wird das Abstrakte konkret.
Lorina Speder
Surya Gied: „Looking into the Distance Becomes Difficult“. Galerie Wedding, bis 23. 9.
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