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Eine ehrliche Haut, der Martin Schulz

Nah dran Bei der Bundesleserkonferenz stellt sich der SPD-Kanzlerkandidat Fragen von BürgerInnen

… wo dein Platz, Genosse, ist Foto: Antonio Parrinello/reuters

BERLIN taz | „Das ist kein Interview, das ist keine Pressekonferenz“, sagt Wolfgang Büchner: „Das ist die Bundesleserkonferenz.“ Der Chefredakteur des RedaktionsNetzwerks Deutschland begrüßt LeserInnen seiner Zeitungsgruppe, die am Montagabend nach Berlin gekommen sind: 180 Menschen, die im Saal der Bundespressekonferenz die Leserkonferenz erleben möchten. Stargast heute auf dem Podium: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz.

Hinten im Saal sitzen Annakatrin und Hannes G. aus Rostock. Großmutter und Enkelsohn sind als Leser der Ostsee-Zeitung heute nach Berlin gereist. Frau G., 76, schaut ein bisschen ratlos auf die Frage, warum es für die SPD und deren Kandidaten so schlecht läuft. „Im Prinzip“, sagt Frau G., sei sie SPD-Wählerin. „Aber Schulz“, seufzt sie: „Ich weiß ja auch nicht.“ Enkel Hannes, 18, ergänzt: „Anfangs hat man sich so viel Hoffnung gemacht.“

Mit diesem Satz fasst Hannes G. zusammen, wie es auch dem Kandidaten ums Gemüt sein mag. Die schlechten Landtagswahlergebnisse dieses Jahres, sagt Martin Schulz auf eine entsprechende Frage aus dem Publikum, „drücken auf die Stimmung“. Mittlerweile wisse auch der Letzte im Land: „Ich kann nicht über Wasser laufen.“

Nach seiner Absenz im NRW-Landtagswahlkampf und drei verlorenen Landtagswahlen ist Schulz von 33 auf 25 Prozent abgesackt. Mit einem Sieg und damit einem Politikwechsel rechnet Schulz anscheinend selbst nicht mehr. Ohne seinen Anspruch auf das Amt des Bundeslanzlers zu betonen, beantwortet er eine Leserfrage nach seinen Plänen für die Zeit nach dem 24. September. Wird er auf jeden Fall sein Bundestagsmandat annehmen? „Ja klar“, sagt Martin Schulz, „zunächst einmal bewerbe ich mich um ein Mandat im Deutschen Parlament. Es wäre doch unlogisch, dieses Mandat nicht anzunehmen.“

Weiter geht es in Berlin durch den von der Leserschaft abgesteckten Themen-Parcours. Diesel-Krise, Mieten, Renten, Gesundheitspolitik, Bedingungsloses Grundeinkommen – auf alles gibt der freundliche Herr Schulz Antworten. Es ist ein bisschen, als wohne man einer Generalprobe der zweiten Besetzung bei, weil die Hauptdarstellerin keine Zeit hat.

Erst beim Thema Flüchtlinge kommt wieder Schwung in die Bude. „Was, wenn noch einmal eine Million Flüchtlinge auf Deutschland zukämen?“, fragt eine Frau. Diese Leistung aus dem Jahr 2015 werde ja immer „von einer Person reklamiert“, sagt Martin Schulz, ohne Merkels Namen zu nenne. „Aber das war eine Gesamtleistung des deutschen Volkes“, streichelt er die Bürgerseele. Gleichwohl sei die europäische Flüchtlingspolitik „ein Desaster“. Sagt’s und zeigt auf das „Nettoempfängerland“ Polen und auf seinen ungarischen Intimfeind Viktor Orbán. Er habe, sagt der Europapolitiker Martin Schulz nun, „ein paar Überzeugungen, für die ich eintrete. Auch wenn ich die Bundestagswahl nicht gewinne.“

„Der Schulz, ich weiß ja auch nicht“

Annakatrin G., Bürgerin

Schulz ist eine ehrliche Haut, fein. Aber ist das klug? Dieser Satz kommt einer Bankrotterklärung gleich. Nach einer Stunde fällt der Vorhang. Annakatrin und Hannes G., Schulz’Zuhörer aus Rostock, sind jetzt möglicherweise schlauer.

Anja Maier

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