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„Die Marktfrauen sind meine Rettung“

WAHLKÄMPFERIN Politik in Kenia ist traditionell eine Männerdomäne. Frauen schaffen es nur langsam und gegen starke Widerstände auf öffentliche Posten

KISUMU taz | Ein Mechaniker bastelt an einem Auto auf einem ölgetränkten Rasen. Über einem offenen Feuer grillt ein Mann Maiskolben. Daneben lehnt eine junge Prostituierte an einer bröckelnden Mauer mit Wahlplakaten. Der Kreis Kondele in Kisumu, einer Großstadt am Victoriasee, strahlt Armut aus.

Hier ist Millie Nyong’o aufgewachsen, und hier lebt sie noch heute. „Die Bezirksverwaltung hat seit ihrem Amtsantritt vor vier Jahren kaum etwas getan. Deshalb kandidiere ich für einen Platz im Bezirksparlament“, sagt die 26-Jährige. Die Frau mit den kurzen Dreadlocks stöckelt zuversichtlich auf ihren etwa zehn Zentimeter hohen Absätzen über die holprigen Straßen. „Meine Chancen nehmen jeden Tag zu“, sagt sie. „Aber ich muss zugeben, dass es sehr schwierig ist.“

Bei den Wahlen in Kenia treten auf allen Ebenen 11.330 Kandidaten an. Nur 2.077 davon sind Frauen. Politik in Kenia ist eine Männerbastion.

Nyong’o bekommt das zu spüren. Kisumu ist die Hochburg des kenianischen Oppositionsführers Raila Odinga. Die junge Frau aber kandidiert für die DP (Democratic Party), Teil der Regierungsallianz. „Mein Gegner bot mir anfangs Geld, damit ich meine Kandidatur zurückziehe“, erzählt die junge Frau. „Als ich mich weigerte, wurde ich von ein paar unappetitlichen Charakteren ständig verfolgt. Ich meldete es der Polizei, und es hörte auf.“ Es macht ihr aber Angst: In Kenia sei alles möglich. Mehreren Kandidatinnen ist Gewalt angetan worden. In den sozialen Netzwerken wird gezielt der Ruf der Frauen zerstört: Da werden Bilder manipuliert, angebliche Nacktfotos oder kompromittierende Situationen mit Männern veröffentlicht. Das genügt im konservativen Kenia, um eine Karriere zu beenden.

Zudem drehe sich in Kenias Politik alles ums Geld „Die großen Politiker sind alle reich und gehören zu einer Elite“, erläutert Nyong’o. „Wenn ich zu einer Schule oder Kirche gehe, werden Spenden erwartet. Wenn ich in der Öffentlichkeit rede, erwarten Zuhörer Geld. Viele sind davon überzeugt, dass ihnen eine Stimme auf dem Wahlzettel Geld einbringen sollte.“

Sie findet das nicht gut, kann es aber verstehen. Viele Kenianer sind arm, jeder Cent zählt. Die junge Frau läuft zum Markt, wo Bananen, getrockneter Fisch, gebrauchte Schuhe und Kleider im Angebot sind. Viele Händlerinnen umarmen Nyong’o und muntern sie auf. „Die Marktfrauen sind meine Rettung. Sie machen Wahlkampf für mich, umsonst! Sie verstehen, dass ich versuchen will, ihr Leben zu verbessern. Ohne Frauensolidarität hätte ich es nicht so weit geschafft.“ Nyong’o hat Wirtschaft studiert, unterrichtet inzwischen aber Gesang, Tanz und Theater. Ihre Schüler kleben für sie Plakate und begleiten sie auf ihrer Wahlkampftour.

Kenianische Frauen sind zunehmend erfolgreich in der Geschäftswelt – aber nicht in der Politik. Die erste Frau im Parlament Kenias gab es erst 1969, die erste Ministerin erst 1995. Frauen besetzen nur 19 Prozent der politischen Positionen im Land. „In den Nachbarländern sind es durchschnittlich rund 30 Prozent“, sagt Nyong’o. „Das muss sich ändern.“

Ilona Eveleens

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