Der Himmel über der Heizung

Skulptur Manchmal tut es gut, wenn die Veränderung eine Pause einlegt: Wie seit vielen Jahren in der Ruine der Klosterkirche. Dort hat das Künstlerduo Borgman/Lenk eine Skulptur aufgestellt, die das Offene feiert

Man beachte die Schwingungen: Die Skulptur „Radiator“ von Borgman/Lenk in der Ruine der Klosterkirche Foto: Borgman/Lenk

von Katrin Bettina Müller

Echt jetzt, wie lange kann das her sein? Dass Hanns Zischler hinter diesem Pfeiler hervortrat und von einem russischen Dichter las, der in den 1920er Jahren in Berlin gelebt hatte? Ich stehe in der Ruine der Klosterkirche in Berlin Mitte und denke an Thea­ter- und Tanzabende zurück, die hier in den 90er Jahren stattfanden. Die Klosterruine, das war ein unwahrscheinlicher Ort, eine Spur von Mittelalter inmitten einer sonst gar nicht alten Stadt. Einmal vor zwanzig Jahren tanzte hier Kei Takei, japanische Performerin aus New York, beim Festival Tanz im August, in den Stunden der Morgendämmerung dem Tag entgegen. Und das Rauschen des Windes in den hohen Bäumen mischte sich, mischt sich, heute wie damals, mit dem Rauschen der breiten Verkehrsstraßen nahe den alten Backsteinmauern.

Ein unwahrscheinlicher Ort ist die Ruine der Klosterkirche geblieben: erhalten eben als Fragment, als sichtbare Lücke, als Zäsur im Stadtbild und in der Geschichte. Der Himmel ist hoch und offen über den dachlosen Wänden aus gemauerten Bögen. Und jetzt ragen da hinein blaue Rohre, gebogen wie ein Heizkörper, die an die ewigen Fernwärmeleitungen erinnern, die vielerorts die Landschaft der DDR prägten.

Mit Witz und Eleganz

Was ist das? Kunst natürlich, die Skulptur „Radiator“, von dem dänisch-deutschen Künstlerduo Anna Borgman und Candy Lenk. Die beiden Bildhauer kleckern nicht, sie klotzen mit dieser Skulptur im öffentlichen Raum, aber sie tun das Große und Großspurige mit Witz und Eleganz. Man beachte nur, wie gut der „Radiator“ mit seinen 10 Metern Höhe auf die Größe des alten Mauerwerks antwortet, wie seine Bögen den hohen gotischen Fenstern ein Echo liefern und die Rundungen der Rohre den gemauerten Diensten an den alten Pfeilern entsprechen. Natürlich ist ein Heizkörper in einem Gebäude ohne Dach absurd, Verschwendung, ein Luxus. Genauso, wie der Erhalt dieser Lücke selbst im Stadtbild ein Luxus ist.

Das könnte sich ändern, das wissen die Künstler und die, die sie hierher eingeladen haben, Sabine Weißler, Bezirksstadträtin (für Weiterbildung, Kultur) und die Kuratoren Ute Müller-Tischler und Sebastian Häger. „Das historische Baudenkmal befindet sich inmitten eines Stadtraums, der künftig stark verändert wird“, schreiben sie in der Einladung zu „Radiator“. Es gibt einen Plan für das Klosterviertel und den Molkenmarkt.

Das macht das Künstlerduo misstrauisch, zu oft haben die beiden den Wunsch, historische Stadträume zurückzugewinnen, als ein Glätten und Schließen der Lücken erlebt, bis etwas sich verfestigt hatte, das keine Fantasie mehr zuließ. „Wie alle Fragmente, so drängt auch diese Ruine nach Ergänzung“, schreiben sie. „Das gebrochene Teil spricht zu uns immer vom Ganzen. Dieses Ganze hat in unserer gedanklichen Projektion oft eine im Realen nie erreichte Identität.“ Und sie glauben, dass „der Versuch einer Rekonstruktion des nie Dagewesenen das Scheitern“ schon in sich trägt.

Nachvollziehbare Gedanken sind das, wenn man zum Beispiel an das Humboldtforum und seine Bezüge zum zerstörten Stadtschloss denkt. Man käme freilich nicht von allein darauf, dass sich Borgman/Lenk mit ihrem Radiator gegen das Rekonstruieren wenden, würden sie es nicht selbst dazusagen. Dass sie das Fragmentarische als anregenden Ort feiern, sieht man freilich schon.

Auf ihrer Website kann man verfolgen, wie die beiden in vielen Projekten mit Ruinen und öffentlichem Raum umgehen. Letztes Jahr arbeiteten sie in einem stillgelegten Schwimmbad in Pankow, ließen aus dem leeren Becken schmale Rohre bis unter die Decke wachsen, wuchernd wie Gestrüpp. Im Jahr davor installierten sie rote Kuben, die durch die Mauern eines verfallenden Hauses stießen. Ihre Eingriffe sind immer deutlich ein künstlicher Gegensatz zum Vorgefundenen, der freilich den Blick darauf verändert. Proportionen stellen sich neu dar, Zusammenhänge und Raum werden anders erlebbar. Ästhetisch ist das immer ein Vergnügen. Und etwas zum Nachdenken über den Umgang mit der Ressource Raum, der oft so unvernünftig und von Einzel-Interessen regiert wirkt, fällt auch oft dabei ab.

„Radiator“ in der Ruine der Kloster­kirche, bis 31. Oktober