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Verfassungskrise in VenezuelaVerbot von Demonstrationen

Die Oppposition will trotz des Verbotes landesweite Massenproteste durchführen. Wieder gibt es Tote. Die USA ziehen Diplomatenfamilien aus Venezuela ab.

Die DemonstrantInnen setzten die Proteste in Venezuela fort Foto: ap

Caracas/Washington dpa | Wegen einer befürchteten Gewalteskalation im Ölstaat Venezuela hat die US-Regierung Familien von Diplomaten aufgefordert, das Land zu verlassen. Das teilte das Außenministerium in Washington am Donnerstagabend mit. Im Konflikt um eine Verfassungsreform will die Opposition am Freitag mit Massenprotesten im ganzen Land ein von der Regierung erlassenes Demonstrationsverbot ignorieren. Das Oppositionsbündnis Mesa de la Unidad Democrática (MUD) rief zur „Einnahme von Venezuela“ auf.

Das seit 1999 von Sozialisten regierte Land mit den größten Ölreserven der Welt steht nach Jahren der Misswirtschaft am Rande des Ruins. Gewalt, Lebensmittel- und Medizinmangel prägen den Alltag.

Mit fünf weiteren Todesopfern während eines 48-stündigen Generalstreiks stieg die Zahl der Toten seit Ausbruch der Proteste vor 120 Tagen auf nun 105. Der sozialistische Präsident Nicolás Maduro bot dem MUD einen Dialog an – Bedingung der Opposition sind aber sein Abschied von der Macht, eine Absage der Verfassungsreform und Neuwahlen. Beobachter rechnen mit einer Eskalation, wenn am Sonntag die Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung stattfindet.

Durch die Bevorzugung von Vertretern der Arbeiterklasse wird mit einer Mehrheit für Sympathisanten Maduros gerechnet. Die Opposition fürchtet den Umbau zu einer Diktatur über den Hebel der Reform. Gewählt werden 545 Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung.

Davon vertreten 364 Mitglieder jeden Kommunalbezirk im Land – hierfür stehen 3200 Kandidaten zur Wahl. Aufgestellt wurden viele Vertreter der Partido Socialista Unido de Venezuela, auch Maduros Ehefrau Cilia Flores. Dazu kommen 181 Personen aus Sektoren, die vorwiegend den Sozialisten nahestehen: Arbeiter, Studenten, Rentner und Bauern.

Mittlerweile haben zehn Fluggesellschaften den Flugverkehr nach Caracas eingestellt, Zehntausende Menschen sind geflüchtet. Maduro hat angekündigt, das von Hugo Chávez 1999 begonnen sozialistische Experiment notfalls auch mit Waffengewalt verteidigen zu wollen, die Wahl sollen 232.000 Sicherheitskräfte schützen. Die Opposition will die Wahl am Sonntag boykottieren – in einem symbolischen Referendum hatten sich mehr als sieben Millionen Menschen geben die Pläne ausgesprochen.

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5 Kommentare

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  • Nur mal so eine Frage wegen des Fotos: Gibt es in Venezuela kein Vermummungsverbot?

    • @Sandor Krasna:

      Offenbar die Nachrichten der letzten Monate nicht verfolgt und den Artikel nicht gelesen. Es gibt sogar ein Demonstrationsverbot, das schließt sowohl vermummte als auch unvermummte Demonstranten ein. Und in Venezuela gegen die Regierung zu demonstrieren ist lebensgefährlich, ob mit oder ohne Vermummung spielt dabei keine Rolle. Über 100 Menschen mussten in den letzten 4 Monaten leider schon diese Erfahrung machen.

  • 7G
    74450 (Profil gelöscht)

    Eine landesweite Sicherheitszone? Was sagt die "Linkspartei" dazu? Ist sowas nur in Hamburg pfui?

    • @74450 (Profil gelöscht):

      Ganz in der Tradition ihrer Vorgängerpartei SED, die uneingeschränkte Solidarität mit Castros Diktatur erklärte, hat auch die Linke auf ihrem Parteitag im Juni in Hannover die uneingeschränkte Solidarität mit Maduro erklärt. Die Partei hält die Regierung tatsächlich immer noch für eine sozialistische. Das dürfte erklären, warum Ereignisse wie Tote Demonstranten, landesweite Demonstrationsverbote, politische Gefangene u.s.w., aus Sicht der Partei Die Linke im Fall von Venezuela keine erwähnenswerte Relevanz haben.

      • @Claudia M.:

        Da hat die Linkspartei auch verdammt nochmal recht. Das was man da mit ansehen kann ist Sozialismus. Und da es jetzt in Richtung Diktatur und Polizeistaat zu gehen scheint steht Venezuela voll in der Tradition vorheriger, sozialistischer Staaten.

        Man kann nicht so tun als wäre etwas nur dann Sozialistisch, wenn am Ende auch das versprochene Utopia steht und dabei niemand unter die Räder kommt. Sozialismus ist dann wenn sozialistische Ideen in die Tat umgesetzt werden. Das Ergebnis ist erfahrungsgemäß grausig aber eben immer noch das sozialistischer Politik.