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„Die Gelegenheit war nie günstiger als jetzt“

Flüchtlinge Viele Berliner Unternehmen brauchen Arbeitskräfte – eine Chance für Geflüchtete. Deren Integration in den Arbeitsmarkt erfordert aber Zeit und Unterstützung, sagen Constantin Terton und Julian Evans von der Berliner Industrie- und Handelskammer

Interview Alke Wierth

taz: Herr Terton, Herr Evans, sind die Flüchtlinge ein Segen für die Berliner Wirtschaft?

Constantin Terton: Ja, das sind sie. Wir merken, dass gerade diese Gruppe Arbeitssuchender eine außergewöhnlich hohe Motivation hat. Sie sind begierig zu lernen und die Chance auf einen Neuanfang hier zu nutzen.

Merken das auch die potenziellen Arbeitgeber?

Ja, das spüren auch die. Gerade hinsichtlich des Problems unbesetzter Ausbildungsplätze kann hier etwas entstehen, das der Berliner Wirtschaft helfen wird.

Helfen wird? Noch nicht hilft also?

Das Problem ist ja zunächst einmal die Sprache. Da ist lange Zeit falsch eingeschätzt worden – und da nehme ich uns auch nicht aus –, wie lange es dauert, Deutsch bis zu einem Niveau zu erlernen, das Ausbildungsfähigkeit herstellt, das dann das Ablegen der mit Ausbildungsprüfungen erlaubt und mit dem Sie einer Beschäftigung nachgehen können. Wenn das erreicht ist, sind viele Unternehmen bereit, geflüchteten Menschen eine Chance zu geben.

Auch Älteren, denen es nicht mehr um eine Ausbildung geht oder die vielleicht bereits eine haben?

Da stehen wir vor anderen Herausforderungen. Zum einen, weil der Spracherwerb mit dem Alter etwas schwieriger wird, zum anderen, weil nicht alle Geflüchteten Zeugnisse über ihre beruflichen Qualifikationen bei der Flucht mitgebracht haben. Aber es gibt natürlich auch Fälle, wo Menschen hier in ihrer angestammten Tätigkeit arbeiten können.

In welchen Branchen werden die Geflüchteten als Arbeitskräfte am dringendsten gebraucht?

Julian Evans: Das ist nicht so pauschal zu beantworten. Gebraucht werden sie natürlich überall da, wo Fachkräftemangel herrscht, und das sind viele Bereiche. Es gibt aber Branchen, wo der Einstieg für geflüchtete Arbeitskräfte leichter ist als in anderen, etwa in der Logistik-Branche oder im Gastgewerbe.

Die IHK macht Angebote an Geflüchtete und an Unternehmen, die Geflüchtete beschäftigen wollen. Warum eigentlich?

Terton: Das ist getragen von gesellschaftlicher Verantwortung und dem Wunsch, dass Integration gelingt, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht zu gefährden. Und wir können ja bereits mit vorhandenen Angeboten und Regelprozessen relativ viel machen.

Wie etwa?

Terton: Es gibt die IHK-Lehrstellenbörse, die wir um die Möglichkeit erweitert haben, berufsvorbereitende Praktika dort anzubieten und somit den Einstieg in duale Ausbildung zu erleichtern. Das haben auch viele Firmen in Anspruch genommen.

Was tun Sie noch?

Evans: Wir haben eine neue Stelle geschaffen, wo eine Kollegin speziell solche Unternehmen berät, die Geflüchtete ausbilden möchten. Auch wenn es um aufenthaltsrechtliche Voraussetzungen geht, steht bei uns ein Ansprechpartner den Betrieben zur Seite. Wir bieten Seminare für Geflüchtete an, die sich selbstständig machen wollen – auch in arabischer Sprache. Wir haben die Lehrstellenbörse für Geflüchtete geöffnet und beraten Unternehmen, die Geflüchtete einstellen, in interkultureller Kompetenz. Mit dem ARRIVO-Servicebüro bieten wir zudem Berliner Firmen in allen Branchen erstmalig eine zentrale Anlauf- und Koordinierungsstelle. Hier können Unternehmen, die Geflüchtete einstellen wollen, professionelle Beratung und Begleitung bekommen.

Können Sie sagen, wie viele Geflüchtete Sie schon in Ausbildung vermittelt haben?

Evans: Bisher befinden sich etwa 200 Geflüchtete in Ausbildungen oder der vorbereitenden Einstiegsqualifizierung. Diese Zahlen sind noch relativ gering, was vor allem an den nach wie vor nicht ausreichenden und noch zu verbessernden Sprachkenntnissen liegt.

Terton: Das ist vielleicht im Verhältnis zu denen, die gekommen sind, noch keine hohe Zahl. Aber wir müssen die Menschen auch erst einmal für das duale Ausbildungssystem gewinnen, das sie aus ihren Herkunftsländern nicht kennen.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Anerkennungsberatung, also wie gut klappt die Anerkennung von Berufsausbildungen, die Geflüchtete mitbringen?

Evans: Das Thema Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse hat uns ja vorher schon beschäftigt, da kommt uns nun unsere Erfahrung zugute. Seit März 2015 haben wir allein bei der IHK Berlin mehr als 800 Geflüchtete beraten. Die Entscheidung über die Anerkennung von Ausbildungen im Bereich der IHK-Berufe erfolgt am Ende durch die in Nürnberg ansässige FOSA, das bundesweite Kompetenzzentrum deutscher Industrie- und Handelskammern zur Feststellung der Gleichwertigkeit ausländischer Berufsabschlüsse.

Terton und Evans

Constantin Terton (46) ist bei der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK Berlin) Bereichsleiter für Fachkräfte und Innovation.

Julian Evans (34) ist IHK-Referent für Diversity und Integrationspolitik.

Wie wichtig ist denn in den Branchen, in denen Mangel an Fachkräften herrscht, diese Anerkennung überhaupt noch? Kommt es da wirklich auf die Bescheinigung einer Ausbildung etwa als Koch an – oder nur noch auf das Können?

Terton: Es stimmt, dass der Nachweis einer formalen Qualifizierung da an Bedeutung verliert, wo die potenziellen Arbeitnehmer ihr Können auch praktisch unter Beweis stellen können. Aber das ist ein zweischneidiges Schwert. Kurzfristig mag das genügen, aber wenn Sie irgendwann die Arbeitsstelle wechseln wollen, fehlt Ihnen vielleicht doch ein offizielles Zertifikat. Wer eine Qualifizierung erworben hat, tut gut daran, sich diese auch bestätigen zu lassen.

Evans: Die IHK FOSA kann solche Qualifikationen auch teilweise anerkennen, also auch dann, wenn keine vollständige Anerkennung einer Ausbildung erfolgt. Da kann man dann mit Nachqualifizierungen noch eine Vollwertigkeit erreichen.

Selbstständigkeit ist der dritte Weg zum Berufseinstieg – wer kommt denn da mit welchen Zielen in Ihre Seminare?

Terton: Viele zielen in Richtung Handel und Gastronomie, und viele waren im Herkunftsland bereits selbstständig.

Evans: Und es sind sehr viele Syrer, die diesen Weg einschlagen wollen. Viele Teilnehmer waren im Herkunftsland bereits selbstständig. Deshalb bieten wir die Seminare auch mit arabischer Übersetzung an. Es gab bislang zehn solcher Start-up-Klassen mit insgesamt 200 Teilnehmern.

Glauben Sie, dass der Berliner Arbeitsmarkt längerfristig die neuen Zuwanderer aufnehmen kann?

Terton: Wenn wir sie in die Lage versetzen, hier Fuß zu fassen, sie fit dafür machen, dann war die Gelegenheit nie günstiger als jetzt. Die wirtschaftliche Situation gerade in Berlin bietet gute Chancen für Menschen verschiedener Qualifikationsniveaus. Ich bin optimistisch. Aber es wir eine Zeit dauern. Wir müssen ja auch berücksichtigen, dass wir von Menschen reden, die eine Fluchtgeschichte erlebt und mitgebracht haben. Da ist nicht jeder gleich imstande, sich hinzusetzen und acht Stunden am Tag eine neue Sprache zu lernen und sich auf eine Ausbildung oder Arbeit vorzubereiten.

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