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Das Leben ein Casting

Theater „600 Highwaymen“ – Abigail Browde und Michael Silverstone bearbeitenÖdön von Horváths „Kasimir und Karoline“ für die Salzburger Festspiele

Zwar wurde kräftig gehüpft, doch der Zeppelin in „Kasimir und Karoline“ wollte nicht recht abheben Foto: Alexi Pelekanos

von Uwe Mattheiß

Hier riecht’s ein wenig nach Schule und sieht mit all den Aushängen und Türbeschilderungen rundherum auch so aus. Das Warten im Foyer auf die Aufführung von „Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horváth bei den Salzburger Festspielen ruft früheres Leben in Erinnerung, auch wenn man dort zuvor nie war. Der Grind pädagogischer Massenanstalten fehlt allerdings. Wer hier lernt, sitzt nicht murrend seine Zeit ab, sondern hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, hier sein zu dürfen.

Die Salzburger Universität Mozarteum gehört zu den Institutionen, die in Musik und Theater zu jener Professionalität ausbilden sollen, ohne die der arbeitsteilige Kulturbetrieb nicht möglich scheint. So ist ihr piekfeines „Große Studio“ wohl der richtige Ort für Abigail Browde und Michael Silverstone, ebendiese Arbeitsteilung und ihre gesellschaftlichen Voraussetzungen zu befragen. Sie tun das mit einem 23-köpfigen Ensemble, das sich in Ausbildungsstand, Interessenlage, Lebenserfahrung und kulturellem Hintergrund heterogen zusammensetzt.

Die beiden US-AmerikanerInnen arbeiten unter dem Label „600 Highwaymen“ und „außerhalb traditioneller Theaterstrukturen“. Sie wollen „Mauern niederreißen und Regeln brechen“, lassen Genregrenzen verschwimmen und kritisieren im Theater, das sie sonst wahrnehmen, die Repräsentation. „Wir hingegen wählen Leute, die man normalerweise nicht auf Bühnen sieht“ (Silverstone). Seit zehn Jahren arbeite man an dieser Revolution, die nichts weniger will, als „das Theater neu zu erfinden“ (Browde).

Der erweiterte Kunstbegriff ist im Spielplan der Salzburger Festspiele angekommen. Die Revolution findet im Mozarteum auf hellem Vollholzparkett statt (Ausstattung: Anneliese Neudecker). Von drei Seiten ist es mit Banden umschlossen. Die Kasimirs, Karolinen, Ernas und Merkl Franzens treten durch Türen darin auf und ab wie beim Eishockey. Ihren Vortrag rahmen elementare Choreografien. Erhobene Hände vor Gesicht und Oberkörper halten das Gesagte wie Backmodeln in der Form.

Horváths Sprache fehlt

„Wir wollen eine Anziehungskraft, einen Magnetismus, eine Ehrlichkeit“, sagt Silverstone. Vielleicht lag es daran, dass es den SpielerInnen nie wirklich gelang, über den Bewerbungsmodus hinaus in der Aneignung ihres Tuns zu einer Selbstverständlichkeit zu gelangen, was den behaupteten emanzipatorischen Charakter der Kunstübung erst ausmachen würde. Das ganze Leben ist ein Casting.

Der Zeppelin in „Kasimir und Karoline“ wollte nicht recht abheben. Das lag vor allem an der Abwesenheit von Horváths Sprache. Über das als solches ohnehin falsch eingeordnete „Kernstück des österreichischen dramatischen Kanons“ haben sich Browde und Silverstone in imperialer Ignoranz erst einmal großzügig hinweggesetzt. Per hin und her übersetzter „Bearbeitung“ haben sie eine belanglose Nacherzählung der Fabel zu Gehör gebracht, die mit Horváth ungefähr so viel zu tun hat wie eine gute Nachricht mit der „Frohen Botschaft“ des Neuen Testaments.

Horváths Figuren sprechen nicht ­einfach: Es spricht aus ihnen

Man muss nicht MuttersprachlerIn sein, um Horváth zu inszenieren, aber vielleicht hätten die Festspiele beide ein Jahr lang dafür bezahlen sollen, sich die Sprache Horváths anzueignen. Dann wäre ihnen womöglich aufgefallen, dass vieles von dem, was sie seinen Sätzen mühsam „draufbrechten“, darin schon vorhanden ist. Horváths Figuren, sofern sie überhaupt welche sind, sprechen nicht einfach: Es spricht aus ihnen, was gegen sie spricht und die Gesellschaft, die sie hervorbringt.

Für den österreichischen Rundfunk kam dabei etwas zwischen „La La Land und Lindenstraße“ heraus. Eine regionale Zeitung sah bei dieser Oktoberfestübung reichlich „alkoholfreies Bier“ vergossen. Versuche, in einem erweiterten Kunstbegriff vom Standpunkt des Kanons aus zu kritisieren, machen wenig Sinn, wenn die Erweiterung schon an ihren eigenen Kriterien scheitert.

Das Qualitätskriterium für Inklusion durch partizipative Kunstpraxis wäre nichts weniger als der Zugewinn an Autonomie: der Umstand, dass die Kunst das Leben der Beteiligten verändert, und zwar über die Dauer eines Volkshochschulkurses hinaus. Bei den Jüngern, die Christoph Schlingensief zu Lebzeiten um sich scharte, gab es so etwas. Da waren dann auch Fragen nach Professionalität oder Virtuosität einfach nur egal.

Aber auch irdische Gefilde bieten durchaus Referenzen. In ihrem früheren Job im niederösterreichischen St. Pölten hatte gerade die neue Schauspielleiterin der Salzburger Festspiele, Bettina Hering, mit Erfolg partizipative Projekte initiiert, etwa zur Aufarbeitung der lokalen Industriegeschichte, allerdings verband darin SpielerInnen und Publikum ein gemeinsames Lebensinteresse. Die Sprechblasen postmoderner Repräsentationskritik leisten dies nicht, vertragen sich aber im Programm erstaunlich gut mit der repräsentativen Praxis auf der anderen Seite der Salzach.

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