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Mit Eigensinn und Dreamteam

Weltmeister Am vorletzten WM-Tag gewinnt Speerwerfer Johannes Vetter die erste deutsche Goldmedaille. Anders als Thomas Röhler hält er dem Erwartungsdruck stand

Ständige Steigerungen in den letzten drei Jahren: Johannes Vetter ist ein Speerwerfer ohne besondere Stärken, aber auch ohne Schwächen Foto: reuters

aus London Susanne Rohlfing

Vor drei Jahren hatte Johannes Vetter das Gefühl, dass ein besserer Speerwerfer in ihm steckt als der, der er damals war. Er war 21 Jahre alt, er glaubte fest an sein Talent. Aber er fühlte sich in Dresden ziemlich allein mit dieser Idee von sich selbst. Also zog er 620 Kilometer gen Südwesten in die Provinz. In Offenburg begann er ein neues Leben. Neuer Trainer, neuer Job, neue Freunde. Inzwischen ist Johannes Vetter 24 Jahre alt. Niemand zweifelt mehr an seinem Talent. Und seit Samstag ist Johannes Vetter Weltmeister.

Als es geschafft war, als er mit 89,89 Metern aus dem ersten Versuch vor den Tschechen Jakub Vadlejch (89,73) und Petr Frydrych (88,32) Gold gewonnen hatte, das erste für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) bei dieser Weltmeisterschaft in London, legte sich Vetter erst mal lang ausgestreckt auf den Boden. „Ich war stolz wie Bolle“, sagte er später. „Was ich in den letzten drei Jahren mit Boris auf die Beine gestellt habe, ist einfach unbeschreiblich.“ Boris Obergföll, Vetters Heimtrainer und zugleich Bundestrainer, war dann auch der Erste, dem Vetter um den Hals fiel. Vor drei Jahren hatte er Obergföll gefragt, ob er nach Offenburg kommen und bei ihm trainieren dürfe. Er durfte. Jetzt sind der ehemalige und der aktuelle 90-Meter-Werfer das Dreamteam des deutschen Speerwurfs.

Als Nächstes waren Vetters Kollegen Thomas Röhler (88,26) und Andreas Hofmann (83,98) dran mit Umarmungen. Sie waren ebenfalls mit Medaillenträumen in den Wettkampf gegangen, mussten sich aber mit 88,26 und 83,98 Metern mit Platz vier und acht begnügen.

Einen Seitenhieb auf den Verein, der ihn seiner Ansicht nach nicht genug gefördert hatte, konnte sich Johannes Vetter im Moment des Triumphs nicht verkneifen: „Die in Dresden werden sich jetzt richtig in den Arsch beißen.“ Gleichzeitig gab es Lob für sein neues Team um Obergföll und dessen Ehefrau Christina, die 2013 selbst Speerwurf-Weltmeisterin geworden war: „Das bin nit nur ich, der hier Gold geholt hat, das ist das ganze Team, meine Familie, alle, die hinter mir stehen.“ Vetter sagt nicht nicht, er sagt nit. So wie Boris Obergföll. Der sagt auf die Frage, welches die große Stärke von Johannes Vetter sei: „Hat er nit. Das ist wie bei einem Zehnkämpfer, der keine richtig geile Disziplin hat, dafür aber in allen zehn richtig gut ist.“

Seit er in Offenburg trainiert, seit er von der Sportfördergruppe derr sächsischen Landespolizei zur Sportfördergruppe der Bundeswehr gewechselt ist, geht es steil bergauf. 2015 wurde Vetter WM-Siebter, 2016 Olympia-Vierter, und in diesem Jahr hatte er Olympiasieger Thomas Röhler mit einem spektakulären Wurf auf 94,44 Meter bereits den Deutschen Rekord abgenommen. In der Qualifikation von London beeindruckte Vetter mit 91,20 Metern.

„Es lag ein immenser Druck auf unseren Schultern. Da habe ich das Beste daraus gemacht“

Johannes Vetter

„Da war ja für jeden klar, wer hier Gold holt“, sagte Vetter. Dieser Druck gefiel ihm nicht, vor dem Wettkampf drohte Vetter „der Motor zu platzen“, wie Obergföll es beschreibt. Der Trainer sprach ihm Mut zu, mit ruhiger Stimme und badischem Slang. Und Vetter schaffte es, im Wettbewerb den richtigen Gang zu finden. Auch darauf war er stolz: „Es lag ein immenser Druck auf unseren Schultern in den letzten Wochen. Damit umzugehen, vor allem in meinem Alter, ich bin 24, ich bin einer der Jüngsten im Feld, da habe ich das Beste draus gemacht.“

Olympiasieger Thomas Röhler konnte das nicht behaupten, fand aber wie üblich die schönsten Worte. „Es muss auch einen geben, der den vierten Platz belegt“, sagte er. Bis zum vorletzten Durchgang lag der 25-Jährige noch auf dem Bronzerang, dann überbot der Tscheche Petr Frydrych seinen besten Wurf um 6 Zentimeter. Röhler konnte nicht kontern, wie allen gelang auch ihm kein 90-Meter-Wurf.

Für den Kollegen Vetter freute er sich und für das deutsche Team, das bei dieser WM noch ein paar mehr Erfolge gesammelt hatte als die einsame Silbermedaille von Siebenkämpferin Carolin Schäfer. Zu Vetters Triumph waren am Samstag (die letzten Finals am Sonntag waren bei Redaktionsschluss noch nicht beendet) noch Platz zwei und drei durch die Zehnkämpfer Rico Freimuth und Kai Kazmirek hinzugekommen sowie Platz drei durch Hürdensprinterin Pamela Dutkiewicz.

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