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Tanz um den rollenden Kessel

Performance Die preisgekrönte kanadische Choreografin Meredith Kalaman erforscht mit ihren Performerkolleginnen Kate Franklin und Felicia Lau in „Femmes Fatales“ historische Hexengeschichten

So viel Bewegung auf den Fußspitzen: Szene aus „Femmes Fatales“ Foto: Erik Zennstrom

von Tom Mustroph

Drei Frauen kauern in einem runden, hölzernen Gestell. Sie lachen, sie wimmern, sie greinen. Die akustischen Ausdrücke von Freude und Leid gehen seltsame Verbindungen ein. Kein Wunder, denn Meredith Kalaman will mit ihren Performerkolleginnen Kate Franklin und Felicia Lau auch zwei Aspekte einer langen, meist dunklen, aber auch von Explosionen von Licht gezeichneten Geschichte erzählen: von Frauen, die aus dem Alltag ausbrechen, und von Frauen, die als aus der Norm fallend verfolgt werden.

Kalaman holt ihr Publikum dafür aus der nur im allerersten Moment unschuldig erscheinenden Welt der Kinderreime ab. Das niedlich-bizarre „Peter, Peter, Pumpkin Eater“ etwa, das einen Mann beschreibt, der seine Frau in einen Kürbis steckt, geht auf einen historischen Frauenmörder zurück. „Ring around Rosie“ – verwandt mit dem deutschen „Ringelreihen“ – wird in der englischsprachigen Tradition unter anderem auf Ausgrenzungsaspekte während der Beulenpest zurückgeführt; die Brüder Grimm geben für den deutschen Sprachraum Ursprünge in vorchristlichen Opferriten an. In der Niedlichkeit der Einschlafreime verbirgt sich also heftiges Gewaltpotenzial, gern auch ausgeübt gegen Frauen.

Dieser Zusammenhang könnte, im besten Fall, zu einer feministischen Lesart und künstlerischen Weiterentwicklung von Waslaw Nijinskys „Sacre du Printemps“ führen. Aber all die gelehrten Damen und Herren, die vor Kurzem den 100-jährigen Geburtstag dieses Schlüsselwerks des modernen Tanzes zu einer umfassenden Analyse, Dekonstruktion und sogar Reenactments genutzt haben, dürfen aufatmen. Kalaman & Co. sprengen nicht den Rahmen. Erstaunlich elegisch werden die Frauenleidensgeschichten erzählt, selbst der Schmerz ist noch schön. Befreiung gerät eher zur Pose.

Vielleicht liegt dieses Urteil aber auch am Aufprall eines Bewegungsrepertoirs, das man dem Tanztheater der 90er Jahre (spätestens) zuordnen würde, mit Augen, die an den theoretischen und praktischen Befragungen jedes einzelnen Muskels im Tänzerkörper geschult – und streckenweise auch gepeinigt – wurden. Bei derartig geprägten Wahrnehmungsmustern wirft die Arbeit von Kanadas Westküste zunächst einmal Fragen auf.

Selbst das aber noch kann positiv gewendet werden – als Zeichen für die gewachsene Größe der Tanzstadt Berlin, in der eben auch diese Form des zeitgenössischen Tanzes ihr Publikum findet.

Zudem wird der Blick geweitet, was alles noch, oder wieder, möglich ist. Wohl noch nie in der Geschichte der Uferstudios gab es öffentlich so viel Bewegung auf den Fußspitzen, so viele so lang gestreckte Gliedmaßen und sogar klassische Hebefiguren zu sehen. Mit geradezu subversiver Freude schmuggelte Gabi Beier, langjährige Betreiberin der Nachwuchs- und Karrierestart-Plattform ada Studio, die bei dieser Produktion dank der Preisgelder des Chrystal Dance Prize nach Kanada als Tanzdramaturgin eingeladen war, „Femme Fatales“ in die benachbarten Uferstudios, diesen Hort des akademisch-asketischen Tanzes. Ein kleiner Coup.

In der Niedlichkeit der Einschlafreime verbirgt sich heftiges Gewaltpotenzial

Künstlerisch bemerkenswerte Momente bot der Abend auch. Als Felicia Lau, die in Vancouver die Basis ihres Lebensunterhalts als Bibliothekarin in einer öffentlichen Bibliothek bestreitet (noch so ein Novum im Vergleich zur Berliner Szene), auf den umgestülpten Kessel steigt und ihn als Bühne für die Darstellung einer innerlich erkalteten Frau nutzt, da gefrieren auch im Zuschauerraum die Herzen. Und auch das Untergrund/Obergrund-Spiegelungsspiel, das Lau oberhalb des umgestürzten Kessels und Kalaman in dessen Inneren vollführen, ist reizvoll. Die eine Tänzerin agiert dabei als Spiegelbild der anderen, nur dass der Spiegel hier horizontal positioniert ist wie eine Wasserfläche.

Interessant ist auch das Bühnenobjekt: ein großer Kessel, der auf ein Skelett reduziert ist und der mal als Raum des Gefangenseins, mal – dank der Rollen am Boden – als beschleunigtes Vehikel genutzt werden kann und umgestülpt auch Bühne ist. Seine starke physische Präsenz macht ihn selbst zum Performer.

Selbst dieser technisch bemerkenswerte Aspekt hätte „Femme Fatales“ aber kaum Eintritt ins Programm von Berlins Leitfestival „Tanz im August“ verschafft. Da sind die ästhetischen Distanzen doch in Kontinenten zu messen. Trotz der Eröffnung des Festivals am Wochenende war der Andrang aber auch hier groß. Das spricht für Differenzierung, für Diversifizierung, ja für Berlin als souveräne Tanzstadt.

„Femmes Fatales“ wieder am 14. + 15. August, 20.30 Uhr in den Uferstudios

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