piwik no script img

PorträtCezary Gmyz ist Berlin-Korrespondent des polnischen Fernsehens. Von den einen wird er als rechter Verschwörungstheoretiker angefeindet, von seinen Leuten als Märtyrer gefeiertDer Brandstifter

von Nancy Waldmann

Vor dem Kino Babylon in Berlin: „Czarosław!“, ruft jemand aus dem Off. Der Reporter dreht sich zur Kamera, mit Zigarette im Mund: „Ich rauche … das heißt, ich stehe in Dublin … äh, Berlin. Hier fand gerade die Premiere des Films ‚Wie ich den Dritten – äh, Zweiten Weltkrieg entfesselte‘ statt“, berichtet er. Im Publikum seien „antipolnische Lachsalven“ ausgebrochen wie TNT. „Zum Glück gab es Bier.“ Die Veranstalter wollten den Film in der nachfolgenden „Pseudodiskussion“ verhöhnen. „Dennoch, der Film hielt dem stand, denn das deutsche Publikum hat schließlich dem Film geglaubt. – Für TVP Nitro … äh, TVP Info: Czarosław Gzyms.“

Die beschriebene Szene ist eine YouTube-Parodie von Adam Gusowski, Mitgründer des „Clubs der polnischen Versager“. Czarosław Gzyms heißt in Wirklichkeit Cezary Gmyz und ist Berlin-Korrespondent des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders TVP in Polen. Dort berichtete er von der Premiere des Spielfilms „Smolensk“ in Berlin, der den Absturz des Präsidentenflugzeugs 2010 als vermutetes Attentat darstellt. Der „Club der polnischen Versager“ hatte Anfang des Jahres eine Vorführung im Babylon organisiert, nachdem Berliner Kinos dem polnischen Botschafter das Zeigen des Films verwehrt hatten. Die Parodie gehört zur Reihe „Der Korrespondent erklärt“, die sich Gusowski extra für den neuen Berlin-Korrespondenten ausgedacht hat – aus Not, sagt er, weil er dessen Berichte aus seiner deutschen Wahlheimat „so traurig“ findet.

Der flapsige Auftritt in Gusowskis Parodie – eine Persiflage der verunglückten Live-Schalte vom Attentat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt. Gmyz wankt mit Zigarette vor der Kamera und überfällt einen Feuerwehrmann am Absperrband mit dem Mikro – nicht ahnend, dass er schon live ist. In Polen verbreitete sich die Aufnahme und ein Teil der Medienwelt zog daraus den bösen Schluss, dass Gmyz erstens: ein Alkoholproblem hat, und zweitens: den Job nur bekommen hat, weil er der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) nahesteht. Als Gmyz im Kinosaal auftauchte, wurde er von polnischen Berlinern angefeindet: „Kurwizja!“ – „Huren-TV“.

Der Schlagabtausch zeigt, wie unter Polen gerade diskutiert wird. In der als „gespalten“ beschriebenen Öffentlichkeit reiben sich PiS-Freunde und -Feinde aneinander, nehmen stark, fast manisch, Bezug aufeinander: kreativ, aggressiv, oft selbstreferenziell. Journalisten bekriegen sich. Gmyz bedauert das in seinem Buch. Nichtsdestotrotz nimmt er daran teil. Gmyz ist bekannt als redlicher Investigativjournalist, der mit der Aufdeckung mehrerer Skandale Leichen der Regierung Tusk aus dem Keller holte. Aber als Twitter-Ego Cezary „TNT“ Gmyz (Cezary „Trotyl“ Gmyz) pöbelt er gern mal vor seinen 86.000 Followern. So attackierte er im September 2015 auch seinen Vorgänger Marcin Antosiewicz als einen, „der dünner ist als eine Rasierklinge und sich den Deutschen andient“.

Ein zweiter Steinbach?

Gmyz scheut keinen Streit und auch kein Interview mit der taz. Aber sein Arbeitgeber pfeift ihn zurück. Selbst das Angebot, die Zitate autorisieren zu lassen, hilft nicht. Der Korrespondent hat wohl in Berlin schon genug Wind gemacht, TVP hält ihn kurz, so scheint es.

Hat er zur Migration AfD-ähnliche Positionen, so ist er beim Umgang mit Russland noch froh über Merkel. Bei der deutschen Vergangenheitsbewältigung trifft er sich am ehesten mit den antideutschen Linken. Mit seinem Antikommunismus ist er einfach konservativer Pole, ohne Entsprechung des 68er-Deutschlands.

Seine spitzbübische, teils grenzüberschreitende Twitterei erinnert an die von Erika Steinbach. Ihr berühmter Foto-Post: ein blondes Kind umringt von neugierigen schwarzen Kindern, die fragen: Wer bist du denn? Das Bild war über­schrieben mit „Deutschland 2030“. Gmyz’ unflätigster Tweet dieses Frühlings lautet ins Deutsche übertragen etwa so: „Tankstelle im polnischen Grenzgebiet:

– Zwei Schokoküsse bitte!

– In 100 Kilometern in Berlin hast du Negerküsse im Überfluß! #original“.

Gmyz würde bestimmt keine Gemeinsamkeit suchen mit der früheren Vertriebenenfunktionärin und Persona non grata in Polen. Und Steinbach nicht mit Gmyz, der schon das Thematisieren der Vertreibung als ein gefährliches Ablenkungsmanöver Post-Nazi-Deutschlands betrachtet. Doch beider Denken orientiert sich an Antagonismen: europäisch – national, muslimisch – christlich, deutsch – polnisch. Und beide leiden unter einer ähnlichen Einsamkeit in der hiesigen Konservatismuswüste.

Berlin 2003. Damals weilte Gmyz schon einmal in der Hauptstadt – als Stipendiat im deutsch-polnischen Medienmittlerprogramm. Im Stipendiatenheft ist von Gmyz zu lesen, wie ihn das multikulturelle Berlin rund um die Torstraße fasziniere: die Russen-Disko, der Club der polnischen Versager. Gmyz schrieb damals in Polen als Erster über die Berliner „Versager“.

Damals hatte er sich als offenherziger und gewitzter Konservativer der Gruppe eingeprägt. Polen war noch nicht in der EU, und viele deutsche Journalisten dachten, hinter der Oder liefen Bärenfänger auf den Straßen. Gmyz wollte aufklären, mit einer Kollegin gründete er das „Medientandem“, damit deutsche Journalisten in Polen hospitieren können. Er opferte seine Urlaubstage und zeigte ihnen das Land. Die Deutschen waren positiv überrascht von Polen und man diskutierte die gemeinsame Zukunft.

Plötzlich radikal?

Heute wirke Gmyz’ Körperhaltung verbissen, sagt eine Mit­stipendiatin von damals. Er habe sich in einen „dieser radikalen PiSler“ verwandelt. Wie konnte das passieren?

Sein alter Freund Clemens Schöll, früher Leiter des Medienmittler-Programms, erinnert sich an ein Alumni-Treffen in Masuren. Es war die Zeit der ersten PiS-Regierung 2005–2007: „Da war was passiert.“ Der Vorwurf fiel, deutsche Journalisten würden kein ausgewogenes Bild von Polen zeichnen, würden nur mit bestimmten Personen sprechen. Gmyz war Moderator und ließ keine Diskussion zu.

Es war auch die Zeit, in der man in Polen begann, Journalisten zu bespitzeln. Unter der ersten PiS-Regierung durchleuchtete die Staatsanwaltschaft Gmyz’ Telefonverbindungen. Er protestierte gemeinsam mit oppositionell eingestellten Kollegen. Doch als nach Ende der PiS-Regierung 2007 liberale Journalisten die Säuberung der Medien und damit den Rauswurf konservativ gesinnter Kollegen forderten, war für Gmyz die Grenze des Anstands überschritten.

Dann der Flugzeugabsturz am 10. April 2010. Ein Schock für Gmyz. In der Tupolew saß der Pastor, der seine Frau und ihn getraut hatte. Er stand ihm nahe.

Zwei Jahre später erscheint Gmyz bekanntester Investigativ-Coup: der Artikel „TNT auf dem Wrack der Tupolew“ über den Fund von TNT und Nitroglyzerin am Wrack der in Smolensk abgestürzten polnischen Präsidentenmaschine. Die Ermittler hatten seine Informationen geleugnet, Gmyz seine Quellen nicht preisgegeben, er wurde gefeuert. Unter großem Beifall der hierzulande gern zitierten Gazeta Wyborcza. Später gaben die Ermittler den Fund der Substanzen doch zu. Die Attentatstheorie beweist das nicht, das weiß auch Gmyz. Aber er hat er am eigenen Leib erfahren, welch große Angst das Thema auf allen Seiten erzeugt. Gmyz betrachtet sich seither als „Brandstifter“ – von den einen als Märtyrer verehrt, von anderen angefeindet.

Justyna Meisel, die jahrelang mit ihm das Medientandem organisierte: „Sicherlich ist er radikaler geworden. Aber sind wir das nicht alle?“

Die Deutschen spielten gegenüber Polen gern die Besserwisser, findet Gmyz. In Deutschland urteile man scharf und einig über die Medienpolitik der PiS. Unkommentiert blieb, wie unter der Regierung Tusk Gmyz und andere Journalisten von den Geheimdiensten überwacht wurden.

Und so wehrt sich der Gegängelte. Gmyz kritisiert die Arbeit deutscher Stiftungen, die liberale polnische Politiker „gekauft“ hätten. Argwöhnt über den Einfluss deutscher Verlagshäuser auf dem polnischen Medienmarkt.

„Antideutsche Hetze“, sagt die Opposition. Für Deutsche ist die oppositionelle Lesart jedoch vor allem: bequem. Sie erlaubt, das postkoloniale Dilemma zu vergessen, in dem sich jede Haltung zur PiS-Politik von hier aus bewegt: Entweder man ist Besserwisser – oder man verleugnet sich selbst.

Ein strammer PiS-Soldat ist der Korrespondent nicht. Als Indiz möge gelten, dass die Redaktion der als Propaganda verschrienen Abendnachrichten lieber eine eigene Crew nach Deutschland schickt, als mit Gmyz zu arbeiten. „Er identifiziert sich mit der jetzigen Regierung, trotzdem glaube ich, er hat seine eigene Agenda“, sagt sein Freund Schöll.

Doch trotz seines Rechtsrucks interessiert Gmyz noch immer das multikulturelle Berlin. Bis heute zieht es ihn in die Torstraße, beim Syrer an der Ecke Tucholskystraße isst er am liebsten zu Mittag.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen