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Rote Fahne über Chicago

Entwicklung Donald Trump als Vitaminspritze und Verjüngungskur? Die Demokratischen Sozialisten Amerikas sind mit 25.000 Mitgliedern neuerdings jedenfalls so stark, wie nie zuvor. Und auch der Altersdurchschnitt wurde um Jahrzehnte gesenkt

Aus New York Dorothea Hahn

Wer dahin gehen will, wo der Sozialismus blüht, sollte die USA ausprobieren. Seit dem fatalen Dienstag im letzten November haben die Democratic Socialists of America (DSA) einen nie da gewesenen Zulauf. Sie haben ihre Mitgliederzahl binnen acht Monaten vervierfacht, gleichzeitig ist der Altersdurchschnitt in der Organisation um Jahrzehnte gesunken.

An diesem Wochenende haben 800 Delegierte in Chicago ihren ersten Kongress unter den neuen Vorzeichen abgehalten. Die Debatten kreisten um die Überwindung von Trump und um das Ende des Kapitalismus. Bei der Auftaktveranstaltung fasste ein junger Delegierter seine eigene Euphorie in diese Worte: „Wow. Ich war noch nie in einem Raum mit so vielen Sozia­listen.“

Anders als bei früheren DSA-Kongressen, bei denen grauhaarige demokratische Sozialisten – darunter auch ehemalige Kommunisten, die ihre Partei nach dem Einmarsch der Sowjet­union in Prag verlassen hatten – unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit diskutierten, gaben dieses Mal die Millennials den Ton an. Sie sorgten auch dafür, dass die Debatten und Abstimmungen direkt in die sozialen Medien kamen.

Manche DSA-Millennials waren schon 2011 in der „Occupy Wall Street“-Bewegung aktiv. Doch die meisten kamen erst im letzten Präsidentschaftswahlkampf zur Politik. Sie folgten Bernie Sanders, der mit Themen angetreten war, die auch sie persönlich betreffen: die hohe private Schuldenbelastung durch Ausbildung und Wohnen, die ex­treme soziale Ungleichheit und das Fehlen von effizienten Kontrollmechanismen für Wall-Street- und andere Unternehmen. Sanders hat den Nerv ihrer Generation getroffen, als er eine staatliche Krankenversicherung für alle propagierte und sich selbst mit dem Etikett „demokratischer Sozialist“ schmückte, das jahrzehntelang als „unamerikanisch“ galt.

DSA – Die Mitgliederzahlen

Anfänge:Im Gründungsjahr 1982 zählten die DSA schätzungsweise 5.000 Mitglieder. Nach der Fusion mit dem Democratic Socialist Organizing Committee (DSOC), 1987, wuchs die Zahl auf etwa 7.000 an. 2003 sollen es laut Fox News 8.000 gewesen sein. Heute ist die Rede von 25.000 Mitgliedern.

Beiträge:20 Dollar kostete 2010 der ermäßigte Mitgliederbeitrag, 45 Dollar betrug der Basistarif, 130 Dollar der Unterstützertarif.

Zeitschrift:Da die DSA keine Mitgliederzahlen veröffentlicht, kann man sich an der Auflage der Mitgliederzeitschrift orientieren. Diese lag 2004 bei 4.535. Von da an stieg sie kontinuierlich: 2006 auf 4.883, 2008 auf 5.710, 2010 erreichte sie 5.874, 2012 6.204, 2014 6.445 und 2016 6.745.

Die DSA hat im Vorwahlkampf, wie die meisten anderen linken Gruppen, den unerwartet erfolgreichen Vorwahlkampf von Sanders unterstützt. Als der am Ende zur Wahl von Hillary Clinton aufforderte, folgte die DSA ihm zähneknirschend. Andere linke Organisationen hingegen wandten sich in dem Moment angewidert ab. Nach Ansicht von Ethan Young war das der Zeitpunkt, zu dem sich die DSA für ihr jetziges explosionsartiges Wachstum qualifizierte, während die anderen in ihre langjährige Isolation zurückkehrten.

Der 65-jährige Young, der in den Protesten gegen den Vietnamkrieg politisch aktiv wurde, hat sich lange geweigert, einer kleinen linken Organisation beizutreten: „Das tue ich erst, wenn sie bereit sind, ihre Spaltungen zu überwinden und zusammenzugehen“. So trat er der DSA bei. Politisch situiert er sie in der Nähe des britischen Labour-Chefs Jeremy Corbyin, „aber nicht Blair“, der spanischen „Podemos“, der französischen „La France Insoumise“ von Jean-Luc Mélenchon und der deutschen – bei DSA ­allerdings kaum ­bekannten – Partei Die Linke. „Aber nicht PSOE, PS und SPD.“

Die auf 25.000 Mitglieder gewachsene DSA ist jetzt die größte sozialistische Organisation in den USA – mit täglich steigender Tendenz. Offiziell ist sie keine Partei, und sie ist nicht im Bundeswahlregister eingetragen. Aber aus ihren Reihen kamen seit ihrer Gründung im Jahr 1982 immer wieder linke Demokraten, ins­besondere Afro­ame­rikaner – darunter der ehemalige Bürgermeister von New York, David Dinkens, und der Kongressabgeordnete Major Owens. In den letzten Monaten ist ein Schwung neuer, junger linker KandidatInnen aus der DSA ­dazugekommen. In den Vorwahlen treten sie landesweit gegen ­PolitikerInnen des demokratischen Parteiapparats an.

Den Versuch, die Demokratische Partei nach links zu bewegen, macht die DSA schon seit ihrer Gründung. Aber in Wahlkämpfe investiert sie „weniger als 10 Prozent ihrer Zeit“, erklärt Führungsmitglied Jared Abbott. Ansonsten konzentrieren sich ihre Mitglieder auf Aktivitäten wie gewerkschaftliche Organisation, die Organisation von Mieterkomitees, das Eintreten für gebührenfreie Universitäten und neuerdings die Zusammenarbeit mit antirassistischen Gruppen wie Black Lives Matter. An dieser Linie will die DSA auch nach Chicago festhalten.

„Wow. Ich war noch nie in einem Raum mit so vielen Sozialisten“, fasste ein junger Delegierter bei der Auftaktveranstaltung seine Euphorie in Worte

Als Grund nennt Young das alte Dilemma, in dem sich US-amerikanischer Linke in dem „extrem festgefahrenen“ Zweiparteiensystem befinden: „Wer auf nationaler Ebene als dritte Partei den Kampf mit Demokraten und Republikanern aufnimmt, spaltet die Stimmen der Demokraten und verhilft damit den Republikanern zum Sieg.“

Genau wie sie es im Vorwahlkampf mit der Sanders-Kampagne gehalten haben, ignorieren die großen Medien und die Demokratische Partei jetzt die DSA, allenfalls ironisieren sie sie als „Bernie Bros“ – ein Stereotyp für „junge, weiße Männer, die mächtig wütend sind“. Doch mit den Millennials sind auch zahlreiche junge Frauen und zunehmend Afroamerikaner*Innen in die Organisation gekommen. In Chicago haben sie von Revolution und von einer „Massenorganisation mit nationalen Ambitionen“ geredet.

In der drastisch verjüngten DSA, in der die Millennials jetzt die Mehrheit stellen, werden sie die Frage: Wie halte ich es mit der Demokratischen Partei?, weiter diskutieren.

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