Spannungsroman Kommissarin Anna Fekete hat Urlaub und will diesen bei ihrer Mutter in der Wojwodina verbringen
: Überraschende Verbindungen

Als Kommissarin mit Migrationshintergrund löst Anna Fekete ihre Fälle normalerweise in Finnland. Der dritte Roman ihrer Erfinderin Kati Hiekkapielto aber führt die junge Kriminalistin fort aus dem Norden und dorthin, wo sie vor dem Jugoslawienkrieg ihre Kindheit verbrachte: in eine Kleinstadt im ungarischsprachigen Teil der Wojwodina, im serbischen Grenzland zu Ungarn.

Es ist Sommer. Anna Fekete hat Urlaub und will diesen bei ihrer Mutter verbringen, die wieder zurückgezogen ist in die alte Heimatstadt und das Haus der Familie. Doch es kommt anders, denn gleich am ersten Abend wird Anna auf einem Weinfest die Handtasche gestohlen. Den Dieb findet man kurz darauf tot am Fluss, „ertrunken“, wie im Obduktionsbericht behauptet wird, den der örtliche Polizeichef Anna zu lesen gibt.

Doch dieser Befund stimmt keineswegs mit dem Aussehen des Toten überein, den Anna heimlich in Augenschein nehmen kann. Nun steht fest: Der Bericht ist gefälscht, und der Fall soll offenbar vertuscht werden. Aber warum? Anna ermittelt auf eigene Faust und deckt nach und nach überraschende Verbindungen zu einem anderen Todesfall auf, der Jahrzehnte zurückliegt: die Ermordung ihres eigenen Vaters, der im Dienst erschossen wurde, als Anna noch ein kleines Mädchen war.

Was in der Nacherzählung klingt wie eine eher konventionelle Krimihandlung, entwickelt sich unter Kati Hiekkapieltos Händen durchaus überdurchschnittlich in puncto Dynamik, Spannung und Atmosphäre. Das fängt beim für durchschnittliche deutsche Krimileser ziemlich exotischen Schauplatz an (wer könnte schon auf Anhieb sagen, wo genau die Wojwodina liegt?), der nicht lediglich als Kulisse dient, sondern dessen Eigenarten und Kultur sorgsam in der Handlung verwoben sind.

War er wirklich schuldig?

Anna Fekete als Halbeinheimische und Halbfremde ist die ideale Vermittlerfigur für eine Erzählperspektive auf diesen fremden Handlungsort, die sowohl eine freundliche Vertrautheit mit den örtlichen Gepflogenheiten demonstriert als auch Befremden über manche althergebrachten Einstellungen der alten Bekannten zulässt. Das betrifft nicht zuletzt das Verhältnis der Ungarn und Serben zu den Roma, die in eigenen Stadtteilen in oft slumähnlichen Verhältnissen leben. Auch für den Mord an Annas Vater wurde einst ein Rom verhaftet. Doch war er wirklich schuldig?

Am Busbahnhof der Stadt campieren wiederum Menschen, denen es noch schlechter geht, auch sie misstrauisch beäugt von den Einheimischen: Flüchtlinge auf dem mühsamen Transitweg ins Gelobte Land. Unaufdringlich geht somit nebenbei die aktuelle Weltlage in den Roman ein. Und noch manch andere Dinge bringt die Autorin darin unter: so beiläufige wie atmosphärische Landschaftsschilderungen, Einblicke in sehr verschiedene soziale Milieus, eine Liebesgeschichte und eine erstaunliche Menge an Nebenfiguren, die sich aber auch am Schluss immer noch bequem auseinanderhalten lassen.

Ein rundum gelungener, intelligenter Spannungsroman also. Und wenn man vorher noch gedacht hat, diese Autorin sei halt einfach eine weitere von diesen irgendwie immer gleichen finnischen KrimischreiberInnen, dann hat man sich ganz schön geirrt. Katharina Granzin

Kati Hiekkapielto: „Schattenschlaf“. Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara. Heyne Verlag, München 2017, 368 S., 14,99 Euro