brüsseler spitzen
: Von der Türkei verhöhnt

die eu-parlaments-kolumne

von Eric Bonse

Es kommt nicht alle Tage vor, dass die Deutschen und ihre Europaabgeordneten einer Meinung sind. Oft genug liegt der deutsche Michel im Clinch mit seinen EU-Repräsentanten – man denke an Gurkenkrümmung und Glühbirnenverbot. Doch wenn es um die Türkei geht, sind sich alle einig.

Vier von fünf Deutschen sind der Meinung, dass sich die Bundesregierung für Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei einsetzen sollte. Das hat jetzt die ARD herausgefunden – drei Wochen, nachdem das Europaparlament die Aussetzung der Türkei-Verhandlungen und der damit verbundenen EU-Finanzhilfen gefordert hatte.

Ein Glücksfall für die Demokratie, sollte man meinen. Endlich bildet sich eine europäische Öffentlichkeit, endlich treten die Bürger und ihre gewählten EU-Vertreter gemeinsam für eine Sache ein! Doch leider läuft der Konsens ins Leere.

Denn die EU setzt sich über die öffentliche Meinung hinweg. Sie führt die Verhandlungen weiter, als wäre nichts geschehen. Sie tut sogar alles, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit auszuweiten! Das haben Erweiterungskommissar Johannes Hahn und EU-Außenvertreterin Federica Mo­ghe­ri­ni verkündet.

Sie hatten ihre türkischen Ministerkollegen nach Brüssel geladen, um eine „positive Agenda“ für 2018 vorzubereiten. Sanktionen? Das wäre ja verrückt, angesichts des enormen wirtschaftlichen Potenzials, das die „strategischen Partner“ EU und Türkei haben! Also spricht in Brüssel niemand über Strafen.

Aber wenigstens bei den Menschenrechten macht die EU doch Ernst? Nun ja, Mogherini und Hahn haben das irgendwie angesprochen. Doch durchgesetzt haben sie sich nicht. Wer Außenminister Mevlüt Çavușoğlu zuhörte, konnte den Eindruck gewinnen, er sei hier der Chef, und die EU müsse ihm folgen.

Voller Inbrunst verteidigte Çavuș­oğlu die Repressionswelle in seinem Land. Vor laufenden Kameras dozierte er über den Unterschied zwischen „echten Journalisten“ und „Pseudojournalisten“, die in Wahrheit Terroristen seien. Sogar die Drohungen seines Präsidenten gegen Deutschland durfte er bekräftigen.

Çavușoğlu hat die Werte der EU verhöhnt – und niemand hat ihm widersprochen. Mogherini und Hahn haben es nicht gewagt, die Position des Europaparlaments (und der Mehrheit der EU-Bürger) vorzutragen. Sie haben geschwiegen, wo sie hätten einschreiten müssen. Passiert ist das alles in Brüssel, nicht in Ankara. Ein Trauerspiel.