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Berliner SzenenDeutscher Bauarbeiter

Stress in der S-Bahn

Ich fühle mich wie gelähmt und weiß nicht, was tun

Neulich sitze ich in der Ringbahn, als plötzlich ein stämmiger Bauarbeiter anfängt, einen Vater und seinen kleinen Sohn zu beschimpfen – der Sohn soll etwas in der S-Bahn wohin gekritzelt haben. Vater und Sohn haben vermutlich einen arabischen oder türkischen Migra­tions­hintergrund.

Der Bauarbeiter, der etwa doppelt so breit und einen Kopf größer ist als der Vater, plustert sich vor ihnen auf: „Natürlich reg ich mich auf, wenn dein Sohn meine S-Bahn beschmiert“, krakeelt er. Der Vater bemüht sich, den Bauarbeiter zu beschwichtigen, doch der wird immer aggressiver. „Ich reg mich nicht auf. Wenn ich mich aufreg, sieht das noch ganz anders aus! Soll ich dir mal zeigen, wie es aussieht, wenn ich mich aufreg?“ Er hebt die Hand und ich denke, dass er kurz davor ist, zuzuschlagen. „Hey, beruhig dich doch mal. Was bist du denn für einer?“, fragt der Vater. Er wirkt allmählich etwas verzweifelt und verärgert. „Ich bin Deutscher!“, sagt der Bauarbeiter und stellt sich ganz nah an ihn heran.

Ein anderer klopft dem Vater beschwichtigend auf die Schulter. „Komm, lass ihn.“ Doch der Vater will sich ja bloß von dem breiten Bauarbeiter nicht so runtermachen lassen.

Mich regt die Szene ziemlich auf, doch ich fühle mich wie gelähmt und weiß nicht, was ich machen soll. Auf einmal platzt es aus mir heraus: „Halt doch einfach dein Scheiß-Maul, du toller Deutscher! Ich kann’s nicht mehr hören“, rufe ich. Zwei Typen, die mir gegenübersitzen, schauen mich ganz überrascht an. Der Deutsche, der seine S-Bahn verteidigt, scheint irritiert, denn er sagt jetzt nichts mehr.

Der Zug fährt im Bahnhof Neukölln ein, wo Vater und Sohn aussteigen. Der deutsche Bauarbeiter fährt weiter. Durch das Getümmel der ein- und aussteigenden Leute wirft ihm der Vater noch ein paar Drohungen an den Kopf, bis sich die Türen schließen. Uta Chotjewitz

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