Avec Ach und Krach

Fussball Mit einem 1:1 gegen die Schweiz rettet sich die französische Auswahl ins Viertelfinale der Frauen-EM in den Niederlanden. Der Turnierfavorit findet partout nicht zu seinem Spiel

Torschützin Camille Abily Foto: dpa

BREDA taz | Als Camille Abily das Zeichen zur Auswechslung erhielt, machte sie auf einmal ganz langsam. Und so schritt eine der besten Spielerinnen, die der französische Frauenfußball je hervorgebracht hat, im Rat-Verlegh-Stadion von Breda beinahe majestätisch zur Seitenlinie, wo Olivier Echouafni ungeduldig wartete: Erst klatschte der Nationaltrainer seine Retterin ab, dann nahm er sie kräftig in den Arm und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sinngemäß vermutlich: Merci, Madame!

Es bedarf nämlich keiner prophetischen Gaben, dass der 44-Jährige seinen Posten losgeworden wäre, wenn Abily nicht jenen Freistoß über die Mauer geschlenzt hätte, bei dem sich die Schweizer Torhüterin Gaëlle Thalmann verschätzte. Mit dem 1:1 nach 76 Minuten rettete sich ein Favorit der Frauen-EM mit Ach und Krach ins Viertelfinale – und trotzte noch der personellen Unterlegenheit durch einen Platzverweis gegen Eve Perisset wegen einer Notbremse (17.).

Martina Voss-Tecklenburg, die deutsche Nationaltrainerin bei der Schweiz, ärgerte sich über „ein Scheißtor“. Den feiernden Französinnen war es ziemlich egal: Das Fiasko, das daraus bestanden hätte, dass die EM-Neulinge Österreich (Gruppenerster nach einem 3:0 gegen Island) und Schweiz ihnen eine lange Nase drehen, war abgewendet. „Wir haben ein starkes Herz gezeigt. Ich denke, wir haben es verdient“, meinte Kollege Echouafni eine Spur zu pathetisch. Denn die Wahrheit ist, dass eine der besten Besetzungen spielerisch in einer Sackgasse steckt, aus der niemand rausfindet. Gegen Island (1:0) brauchte es einen umstrittenen Elfmeter, gegen Österreich (1:1) und die Schweiz grobe Fehleinschätzungen der gegnerischen Torfrau, um Zählbares zu landen.

„Wir spielen nicht wie Messi, um uns durchdribbeln zu können“, sagte Abily kürzlich dem Magazin FFussball. Ihr Verein Olympique Lyon spielt in der Regel trotzdem alle Gegner an die Wand. Das mit internationalen Stars wie der deutschen Kapitänin Dzsenifer Marozsan veredelte Team hat Meisterschaft, Pokal und zuletzt die Women’s Champions League gewonnen, im Elfmeterschießen gegen den nationalen Widersacher Paris St. Germain. Allein die Konstellation in Cardiff ließ darauf schließen, dass doch auch die Équipe féminine ihren Turnierfluch vertreiben könnte. Das regelmäßige Scheitern bei WM, EM oder Olympischen Spielen ist zum Mysterium geworden.

Genau wie seinen Vorgängen Bini und Bergeroo gelingt es auch dem im September 2016 installierten Echouafni nicht, den technisch beschlagenen Ballbesitzfußball auf eine Entwicklungsstufe zu bringen, mit der sich mehr Torgefahr erzeugen lässt. Dazu kommt die mentale Anfälligkeit vieler Führungskräfte.

Die Zeit drängt. Die hochbegabte Generation um Wendie Renard (27 Jahre), Amandine Henry (27) und Eugénie Le Sommer (28) spielt nicht mehr ewig weiter. Ihr erklärter Karrierehöhepunkt soll weniger diese EM, sondern die WM 2019 im eigenen Land sein.

Die Vorbereitungen im französischen Verband laufen auf Hochtouren, denn an einer Frauen-WM nehmen mittlerweile 24 Teams teil, als Spielorte wurden Grenoble, Reims und Rennes, aber auch Montpellier, Lyon und Paris bestimmt. Stadien mit teils erheblichen Kapazitäten, die nur zu füllen sind, wenn das Heimteam eine Begeisterungswelle auslöst. Davon sind die französischen Fußballerinnen mit ihren Auftritten in den Niederlanden aber ungefähr so weit entfernt wie Camille Abily von den Qualitäten eines Lionel Messi. Der tritt auch keine haltbaren Freistöße.

Frank Hellmann