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DIE DREI FRAGEZEICHENFalsches Publikum angesprochen

WAS?Nie war das Programm der Wiener Festwochen so zeitgenössisch wie in diesem Jahr. Dies sollte ein jüngeres Publikum generieren. Nach negativen Presseberichten ruderte die Leitung zurück und kündigte zwei Kurator*innen.

taz: Frau Jessen, Sie kamen mit Johannes Maile als Kuratorin unter der Intendanz von Tomas Zierhofer-Kin zu den ­Wiener Festwochen. Nun wurde die ­Zusammenarbeit gekündigt. War es erwartbar?

Nadine Jessen:Wir können es nicht nachvollziehen. Wir haben anderthalb Jahre lang am Programm gearbeitet, immer in Absprache mit Herrn Zierhofer-Kin. Hätten ihm die Ideen nicht gefallen, hätte er früher einlenken können, statt uns ins offene Messer laufen zu lassen. Mit ihm gab es bisher kein Gespräch.

Es gab im Vorfeld Diskussionen, etwa bei Texten über die Akademie des Verlernens. Das Projekt setzt voraus, dass ein bestimmtes Vokabular angewendet wird, um ein Pub­likum aus diesen Diskursen anzusprechen. Uns wird vorgeworfen, die bisher vertretene Elite der ­Festwochen durch eine neue, linke Elite ersetzt zu haben. Meinen Eindruckes nach waren es junge Menschen, die selbst ­prekär leben.

Als Grund werden unter anderem die negativen Presseberichterstattungen genannt. Wie schätzen Sie diese ein?

Mich hat das Presse-Resümee überrascht. Viele einzelne Projekte hatten eine positive Resonanz. Bis heute gab es keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Programm, stattdessen wird ein nebulöser Qualitätsbegriff aufgebracht. „Les Robots ne connaissent pas le Blues oder Die Entführung aus dem Serail“ war zum Beispiel eine Zusammenarbeit von national und international bekannten Künstlern, in Hamburg und Bremen kam es gut an. In Wien wurde es in der Presse gebasht. Es wurde behauptet, da seien „afrikanische Laien“. Das ist struktureller Rassismus. Es wird sich mit der Expertise der sogenannten Anderen nicht auseinandergesetzt. Sie sind in Westafrika Stars. In den Feuilletons sitzen viele Leute, die bestimmte subkulturelle Codes, etwa aus dem Vogueing und Twerking, nicht richtig lesen und einordnen können. Und das wird dann als qualitativ nicht ausreichend bewertet – anstatt zu sagen, dass es nicht gefallen hat.

Angesichts der Parallelen zur documenta und den Kammerspielen: Ist das Projekt, den Kulturbetrieb progressiv zu gestalten, gescheitert?

Wir haben versucht, ein avanciertes Programm zu machen, in dem viele Leute ihre kulturellen Bedürfnisse abdecken können, vom bürgerlichen Sprechtheaterkunstgeschmack bis hin zu marginalisierten Performance-Positionen. Wir haben über unser Programm mit kleinen Communities gearbeitet und kritische Massen erzeugt. Ich bekam viele Rückmeldungen, gerade von migrantischen Wiener*innen, dass sie sich zum ersten Mal vom Festwochen-Programm angesprochen fühlten. Das Publikum, das wir produziert haben, entspricht aber offensichtlich nicht der Vor­stellung eines „ordentlichen“ Publikums. Deshalb wird versucht, ein Narrativ des Scheiterns über die Arbeit von Johannes Maile und mir zu stülpen.

Interview Hengameh Yaghoobifarah

Nadine Jessen,Jahrgang 1974, Dramaturgin und Kuratorin, Arbeitserfahrung von Stadt­theater bis freie Szene, kuratierte u. a. das Internationale Live-Arts Festival auf Kampnagel, arbeitet an der Schnitt­stelle Theater/Perfor­mance/­Diskurs.

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