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„Handwerk der Übertreibung“

MEDIEN Übertreibt die Presse bei der Berichterstattung? Protestforscher Teune sagt: Die Gewaltfixierung stehe in keinem Verhältnis zur Realität

Foto: Ulrich Dahl
Simon Teune

40, ist Soziologe an der Technischen Universität Berlin und Mitbegründer des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung.

taz: Herr Teune, wie kaputt wird Hamburg nach dem G20-Gipfel am Samstag sein?

Simon Teune: Es dürfte überschaubar bleiben.

Wie kommen Sie darauf?

Die Übertreibung gehört offenbar zum Handwerk, wenn es um die Medienberichterstattung über Gipfelproteste geht. Klar: Es gibt differenzierte und hintergründige Berichte, aber das Bild, das vorherrscht, überblendet das, was tatsächlich passiert.

Sie untersuchten schon 2007, wie über die Heiligendammproteste berichtet wurde. Wie?

Bei der Berichterstattung über die Anti-G8-Proteste 2007 in Rostock vermittelten viele Journalisten den Eindruck, die Stadt befände sich im Bürgerkriegszustand. Tatsächlich waren von den Krawallen nur zwei Straßenzüge betroffen. Der Deutungsrahmen, der dominierte, war die Fokussierung auf Gewalt versus friedlichen Protest. Im Wesentlichen wurden die Proteste auf die Fragen reduziert: Wann knallt es, wo knallt es, wer ist verantwortlich, wer distanziert sich davon?

Das interessiert auch die Menschen.

Ja. Aber wenn man die Berichterstattung nur darauf verengt, geht viel von dem verloren, worum es bei den Protesten inhaltlich und in der Breite eigentlich geht. Interessant: In der Pegida-Berichterstattung wird übrigens wesentlich mehr über Motiva­tionen, Hintergründe, soziale Fragen berichtet als etwa bei Gipfelprotesten.

Was schließen Sie daraus?

Dass Journalisten den Sicherheitsbehörden zu sehr vertrauen.

Woran machen Sie das fest?

2007 gab es Berichte über mit Rasierklingen gespickte Kartoffeln und Clowns, die angeblich mit Säure spritzten. Das waren polizeiliche Falschbehauptungen, die übernommen wurden. Um zu beschreiben, wie schlimm alles war, wurde die Zahl der Verhaftungen herangezogen, über 1.000. Die Verurteilungen befanden sich später im niedrigen zweistelligen Bereich. Das hat dann niemand mehr registriert.

Was empfehlen Sie Redaktionen?

Zumindest sollten sie darüber diskutieren, wie sie mit einer polizeilichen Pressearbeit umgehen, die darauf ausgelegt ist, den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern. Es ist ja bekannt, dass die Gewaltfrage aus taktischen Gründen überbetont wird.

Beobachten Sie das in Hamburg zum G20-Gipfel auch?

Ja. Die Überzeichnung der Gefahrensituation ist ein generelles Muster bei solchen Großlagen. In Hamburg spricht die Polizei von 8.000 Gewaltbereiten. Das sollte im Vorfeld in erster Linie die Fantasie anregen. Die Struktur der Kommunikation verläuft immer nach dem gleichen Muster: Es gibt Hausdurchsuchungen, dann dramatisierende Pressemitteilungen und schließlich Äußerungen von Politikern, die sagen, wie resolut sie reagieren werden.

Es ist nicht nur die Polizei, die in Hamburg aufmuskelt, sondern auch die militante Szene.

Ja, aber dennoch gilt generell: Das Aufplustern von Konfliktparteien sollten Journalisten mit Vorsicht und Distanz bewerten, sonst sind sie Teil des Problems. Interview Martin Kaul

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