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American PieNachtreten in Etappen

RADSPORTDer Doper und Dauersieger Lance Armstrong betreibt einen Tour-de-France-Podcast und teilt mächtig aus

Warum kann er nicht einfach schweigen? Es gab gewiss nicht wenige Liebhaber des Radsports in den USA und anderswo, die sich nach den Enthüllungen um Lance Armstrong und seinem Dopinggeständnis im Januar 2013 gewünscht hatten, nie mehr von dem Mann zur hören, der allzu gern den Mund aufgerissen hatte. Das Einzige, was Armstrong, dem seine sieben Tour-de-France-Erfolge aberkannt wurden, jetzt noch tun konnte, um den Rest seiner Würde zu wahren und seinen Sport zu schützen, so dachte man, war es, zu schweigen.

Doch wer wirklich glaubte, Armstrong würde einfach von der Bildfläche verschwinden, der kannte Armstrong schlecht. In dieser Hinsicht hat sich Armstrong nicht verändert, trotz der vielen Stunden von Therapie, die er laut Selbstauskunft hinter sich gebracht hat, und trotz der öffentlichen Demütigungen, die er sich in den vergangenen Jahren hat gefallen lassen müssen.

Armstrong ist in diesen Tagen zwar nicht in den großen Schlagzeilen, aber doch sehr präsent im Universum der digitalen Medien. Nur eine Woche vor der Tour war er in der Komödie „Tour de Pharmacy“ des Kabelsenders HBO dabei zu sehen, wie er sich in der Rolle als Lance Armstrong über sich selbst lustig machte. Und seit dem Tour-Start kommentiert er per Pod­cast für die amerikanischen Fans von seinem Heim in Texas aus das Geschehen.

Der Podcast zur Tour ist die Fortsetzung von Armstrongs andauerndem Versuch, sich als Marke neu zu positionieren. Schon seit einem Jahr ist er bei iTunes und Soundcloud wöchentlich dabei zu hören, wie er Persönlichkeiten aus Sport und Unterhaltung interviewt. „Forward“ heißt das Projekt – eine als Inspiration gemeinte Botschaft, sich im Leben von nichts unterkriegen zu lassen und immer nach vorne zu schauen. Seine immer noch vorhandenen Fans sollen wissen, dass Lance immer weitermacht, auch wenn noch eine 100 Millionen Dollar Klage im Raum steht.

Dass er sich erneut an den Radsport heranmacht, spiegelt jedoch eine neue Qualität seines wieder erlangten Selbstbewusstseins wider. Er habe seine Liebe zu dem Sport neu entdeckt, erklärte er. Er fahre selbst wieder jeden Tag Fahrrad und traue sich sogar wieder durch den Vordereingang seines eigenen Radladens in Austin. Im Juni nahm er mit alten Team-Kollegen an einem Mountainbikerennen in New Mexiko teil, ein Abenteuer, bei dem sicher auch in Erinnerungen geschwelgt wurde.

Das tut Armstrong auch in seinem Podcast „Stages“ – Etappen –, dessen Titel, so erklärt er, sowohl die Etappen der Tour als auch seine Schritte zurück ins Leben bezeichnen soll. Jeden Tag bekommt man zu hören, wie das damals war, im Team das Feld zu kontrollieren, das Gelbe Trikot zu verteidigen, sich mit stickigen französischen Hotelzimmern rumzuschlagen und den Stress von Reporteranfragen und Dopingkontrollen zu erdulden. Von logistischen Problemen mit der Beschaffung von Blutbeuteln und der Entsorgung benutzter Spritzen ist allerdings eher wenig zu hören.

Dafür hat Armstrong der jetzigen Fahrergeneration viel mit auf ihren Weg nach Paris zu geben. Für den derzeitigen Patron der Tour, Chris Froome, hat Armstrong die Botschaft, dass sein Fahrstil eine Beleidigung für das Auge sei, und dass die Übersetzung, mit der er zu den Pyrenäenetappen antrat, zu seiner eigenen Zeit eine Peinlichkeit dargestellt hätte.

Dem in den Bergen schwer gestürzten Richie Porte teilte Armstrong mit, er hätte sich als Titelkandidat auf die entscheidende Abfahrt, besser vorbereiten müssen. Dem Mitbewerber um den Sieg, Fabio Aru, übermittelt Armstrong, seine Mannschaft sei schlecht organisiert und stolpere von einem taktischen Fehler in den nächsten.

Am dicksten bekommt es jedoch die Tour-de-France-Organisation ASO ab. Zum Start nach Düsseldorf sandte Arm­strong der Firma und deren Chef Christian Prudhomme ein fettes „Fuck you“, weil weder er noch Jan Ullrich eingeladen waren. In der Folge wurde die ASO für willkürliche Regelanwendungen, mangelhafte Streckensicherung und übertriebene Selbstzufriedenheit in die Pfanne gehauen.

Dem Publikum scheint derlei Besserwisserei von einem, der offenbar noch immer nicht akzeptieren kann, nicht mehr als der Größte und Beste angesehen zu werden, zu gefallen. Das Podcast stand zwischenzeitlich auf Rang Zwei der iTunes-Liste für Sport-Casts und auf Platz 16 insgesamt. Diejenigen, die gehofft hatten, nie wieder von Arm­strong zu hören, nehmen es trotzdem gelassen. „Ach soll er doch“, sagt Charles Pelkey, der als Reporter jahrzehntelang wegen seiner kritischen Berichterstattung persönlich von Armstrong angefeindet wurde. „Ich habe in meinem Leben Besseres zu tun, als mich immer noch über Armstrong aufzuregen.“

Sebastian Moll

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