LeserInnenbriefe
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Macht-von-oben-Politik

betr.: „Pro & Contra Tarifeinheitsgesetz“, taz vom 12. 7. 17

Diesmal hat die von mir so wertgeschätzte Ulrike Herrmann zu schnell für ein „vereinfachtes“ Gewerkschaftskonstrukt gestimmt. Im Jahr 1975 war ich als Krankenpflegeschüler Mitglied in der ÖTV Berlin. Der Berliner Landesverband war der Einzige, in dem es noch eine Basisbeteiligung bei gewerkschaftlichen Entscheidungen gab. Durch die auch in Berlin dann in Folge eingeführten Vertrauensleute (für zwei Jahre gewählt und nicht abwählbar) wurde die damalige kritische Basis (kommunistisches Kleinparteienspektrum, KBW, DKP, KPD-ML …) damit von den Basisentscheidungen abgeschnitten. Auch wenn ich nie ein Parteimitglied war, war dies doch eine zutiefst undemokratische Entwicklung. Konsequenz meinerseits: Austritt aus der ÖTV.

Diese „Macht von oben“-Politik blieb mir aber im Laufe der Jahre als Eindruck von den großen Gewerkschaften. Denn auch um das Pflegepersonal kümmerten sie sich herzlich wenig, geschweige denn, dass für das Pflegepersonal für weitergehende Interessen gestreikt wurde. Die kleinen Gewerkschaften sind konsequent und ausdauernd, manchmal sehr giftig in der Formulierung und Durchsetzung der Interessen ihrer Mitglieder, die nicht nur monetäre Interessen spiegeln.

Und als der Mindestlohn zur Debatte stand, ist keine der großen Gewerkschaften aufgestanden und hat gemäß den Sollgrößen (späteres Rentenniveau, Lebenshaltungskosten) Forderungen nach einer sozial ausgewogenen Höhe auch mit Streik nur versucht durchzusetzen. Eins der immer gut dargestellten Wirtschaftsargumente von Ulrike Herrmann ist ja der Europa würgende deutsche Exportüberschuss, der überwiegend über eine ungerechte Lohnpolitik in Deutschland erzeugt wird.

Für mich als dann gewordener Anästhesist hat der Marburger Bund, gerade was Arbeitszeitstandards betrifft, eine Menge erreicht. Auch Verdi ist durch diese Politik der kleinen Gewerkschaften die letzten Jahre aufgewacht und kümmert sich wieder mehr um Basisarbeit. Recht hat Frau Herrmann allerdings in einem: Sollten die Gewerkschaften in Zukunft kooperieren und „Sinnvolles“ für die Arbeitnehmer ausgestalten, ist viel gewonnen. ACHIM KRAUTWIG, Bensheim

Erst mal Polizei. Und dann?

betr.: „Der Aufstand“, taz vom 10. 7. 17

Die gute Beschreibung von Martin Kaul endet mit den Worten: „Hinter dieser Gewalt steckt eine Idee. Ob sie Sinn macht, darf bestritten werden.“ Bitte sehr: Falls die Idee des Anarchismus gemeint ist, dann sollte einmal betont werden, dass der Homo sapiens dafür nicht reif genug ist. Als höchstentwickelte der Primaten kommen wir ja noch nicht einmal mit unserem tollen Grundgesetz zurecht. Die wichtigen Botschaften protestierender NGOs gingen unter, übertönt von (wie die taz aufzählt) „Linksradikalen, adrenalingeschwängerten Kids, Hooligans“. Da hilft erst mal nur Polizei. Und dann? THEO KRÖNERT, Kaisersbach

An die Wand gespielt

betr.: Berichterstattung der taz zu G20

Ihr habt viele Seiten in Anspruch genommen, um uns Hamburg und den G20 näherzubringen. Eine Haltung habe ich nicht erkennen können. Dazu natürlich viel Aufregung über die aggressive Polizei, die dann ja in sehr entscheidenden Phasen überhaupt nicht mehr in Erscheinung trat, und Süffisanz etwa anlässlich Merkels Kleidung oder der Beethoven-Musik, zuletzt deutlich besserwisserische Kritik an der auf einmal zu passiven Hamburger Polizei und die Empfehlung der Berliner Linie! Allein das ist schon grotesk genug, wenn ihr in eure alten Ausgaben über Jahre zum Berliner Mai schaut!

Dabei könnte vermutlich einzig die taz in der Medienlandschaft einmal klar sagen, dass alle Begriffe, die „links“ assoziieren oder gar explizit nutzen („Linksextremismus“, „Linksautonome“ usw.) auf die G20-Touristen nicht anwendbar sind, dass wir nichts – aber auch gar nichts! – mit ihnen gemein haben. Deren Strategien – für mich vergleichbar Fußball-Hooligans aller Länder – sind inzwischen so absurd geworden, dass wohl etwa 70 Prozent der schwarz gekleideten Kämpfer nicht aufklärbare, sowohl der deutschen Sprache wie der Lokalität unkundige Touristen waren, die vor allem in den Kerngebieten der Hamburger Autonomen und damit auch in Kiezen der gegen Großmächte zu verteidigenden Unterschichten gewütet haben und nicht in Blankenese oder sonst wo – sehr zum Verdruss der Hamburger Szene, die offenbar völlig an die Wand gespielt war. RAINER STANGE, Berlin

Staatliches Gewaltmonopol

betr.: „Scholz sagt sorry und schlägt zurück“, taz vom 13. 7. 17

Die Vorstellung, die der Hamburger Oberbürgermeister und seine Partei, die SPD, in der Bürgerschaft abgeliefert haben, lässt sich kaum in Worte fassen. Das war jämmerlich und geradezu infam. Die Polizei zur Heldentruppe zu stilisieren, die Einsatzleitung und politische Führung von jeglicher Verantwortung für die Vorfälle freizusprechen und keinerlei eigene Fehler zu erkennen, weil der Gegner so überaus schlimm, ja übermächtig war, ist angesichts des Gewaltmonopols des Staats erbärmlich. Auch die Berichte politisch völlig Unverdächtiger, die die Ausschreitungen vor Ort verfolgten, sprechen eine völlig andere Sprache. Nur wenige Sätze später, die formale Entschuldigung ist kaum verhallt, beginnt das wilde Einprügeln auf den politischen Gegner. Die Linkspartei, quasi wie Herri Batasuna in Bezug auf die ETA, zum politischen Arm der Gewalttäter zu machen, ist verleumderisch. Herr Scholz, Herr Dressler, eine derartige Entschuldigung können Sie sich sparen. MARKUS STEUERNAGEL, Frankfurt am Main