: Der letzte Schuss
Geschichte Vor 30 Jahren schaffte die DDR die Todesstrafe ab. Vollstreckt wurde sie seit 1981 nicht mehr
Tagelang hatten Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit Teske bearbeitet. Am Ende stand für sie fest: Teske plant die Flucht in den Westen. Verurteilt wurde er wegen „Verbrechens der Spionage im besonders schweren Fall und vorbereiteter Fahnenflucht im schweren Fall“. Einem Gnadengesuch wurde nicht stattgegeben.
Nach Recherchen von Falco Werkentin teilten ab der Gründung der DDR 1949 mindestens 164 Verurteilte Teskes Schicksal. Werkentin war mehr als 20 Jahre lang stellvertretender Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen in Berlin, für den Bundestag hat er ein Gutachten verfasst.
Während die Bundesrepublik Deutschland die Todesstrafe mit Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 abgeschafft hatte, galt in der DDR zunächst der Mordparagraf aus dem Strafgesetzbuch des Kaiserreiches von 1871 fort. Auf dessen Grundlage richtete die DDR-Staatsführung laut Werkentin insgesamt rund 50 Mörder hin. Hinzu kamen 65 Verbrecher aus der NS-Zeit, die meist nach aufwändigen Schauprozessen exekutiert wurden. Darüber hinaus wurden etwa 50 Menschen wegen „politischer Delikte“ wie Spionage oder Sabotage hingerichtet. Grundlage bildete Artikel 6 der DDR-Verfassung, der „Boykotthetze“ verbot. Werkentin nennt den Artikel ein „reines Propagandagebilde, eine Pseudo-Rechtsgrundlage, die nicht einmal ein Strafmaß androhte“. Für die DDR-Führung sei das jedoch kein Hinderungsgrund gewesen, drakonische Strafen mit dem Artikel zu begründen – bis hin zur Todesstrafe.
Wie die Rechtsgrundlage für die Todesurteile änderte sich mit der Zeit auch die Methode ihrer Vollstreckung. Bis 1968 wurde den Verurteilten per Guillotine der Kopf abgeschnitten. Danach kam der „unerwartete Nahschuss“ zum Einsatz, ausgeführt von Volkspolizisten. Die Leichen der Getöteten wurden auf den Leipziger Südfriedhof gebracht und verbrannt; Todesort und -ursache auf dem Totenschein wurden gefälscht.
Gerade die späten Urteile, etwa gegen Stasi-Mitarbeiter wie Teske, waren nach Stand der Forschung häufig politisch motiviert und wurden streng geheimgehalten. Die Fälle liefen stets über den Schreibtisch der höchsten SED-Funktionäre im Politbüro, sagt Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin. „Faktisch lag die Entscheidungsgewalt bei der Parteiführung“, sagt der Forscher – ob über Urteile oder Gnadengesuche.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen