nord.thema
: Nordsommer

verlagsseiten der taz.nord zum thema

Wanderung wird Kunst

Bewegt Zweite Runde des Willkommens: Deutsche und ein syrische Künstler haben das Kieler Umland erwandert und ihre Eindrücke in Bild und Ton festgehalten. Zu besichtigen ist das Ganze in der Kieler Galerie K34 im einstigen Schlecker-Markt

Übermalt oder überschrieben? Das Künstlertrio um Kiel herum Foto: Frank Keil

Von Frank Keil

Die Bilder sind leicht wackelig. Schwanken, stellen sich scharf und werden wieder kurz unscharf. Was vor allem daran liegt, dass im Gehen gefilmt wurde, mit einer Kamera, am Körper getragen. Durch ein Waldstück geht es, entlang an Wiesen und Feldern.

Ein Weg ist zu sehen, ein Stück Straße, der Boden, wie er sich hebt und senkt. Und dann taucht man wieder zwischen Bäumen ein und unter. Die Köpfe der Gehenden rücken ins Bild, ihre Körper dazu, mit Rucksäcken bepackt.

Dann Schnitt – und ein neues Stück norddeutscher Landschaft taucht auf der Leinwand auf. Die bemalt ist. Oder besser: bezeichnet. Mit Linien und Kreisen, die sich zu Figuren fügen. Zu Treppen, die weiterführen, ein Gesicht, eine Hand. Das alles live zu Musik gestaltet während der Eröffnung der Ausstellung „Wanderungen #2“ in der Galerie K34 in Kiel-Gaarden, einem ehemaligen Schlecker-Markt.

Vier Tage lang sind die drei daran beteiligten Künstler samt ihrem Kurator dafür durch das Kieler Umland gewandert. Haben sich durch die feiernden Massen während der Kieler Woche gemüht, sind mit der Fähre oberhalb von Kiel bei Friedrichsort nach Laboe übergesetzt.

Dann sind sie im weiten Bogen über Bredeneek und Moorsee, über Meimersdorf und Russee zurück nach Kiel-Gaarden gewandert. Nicht nur Wechselkleidung und etwas Warmes für den Abend im Rucksack waren dabei, sondern dazu Laptop, Rekorder, eine Filmausrüstung, auch eine elektrische Gitarre samt Verstärker. „Man nimmt immer viel zu viel mit“, sagt Torben Laib, der das Studium der Bildhauerei an der Kieler Muthesius-Hochschule hinter sich hat, zum Schluss immer mehr in Richtung Klangkunst ging und unlängst nach Hamburg zog.

Die Idee zu einer Wanderung als Kunstprojekt mit anschließender Ausstellung hat der Künstler und Kurator Detlef Schlagheck entwickelt. Er ist so etwas wie der Kopf der K34. „Wir wollten bei der zweiten Runde der Willkommenskultur, die immer mehr entdeckt, inwiefern Geflüchtete und Einheimische voneinander profitieren können, unseren Teil beisteuern. Und das kann unser Verein am besten mit Kunst“, sagt Schlagheck.

Dabei war ihm wichtig, dass eine Ausstellung zum Thema Flucht und Wanderung nicht theoretisch konzipiert wurde, sondern im Gegenteil ganz direkt in der Begegnung entstand. Das Selbstvergessene beim Wandern, das Freudige, das Durch-den-Tag-Gehen, Schritt für Schritt, sollte seinen Platz haben.

„Die Wanderung hätte auch von der Zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge in Neumünster aus starten können, aber wir sind hier in Kiel und ich wollte gern, dass wir uns hier mit der Situation vor Ort ausein­andersetzen“, sagt Schlagheck.

Dann lenkt er den Blick auf das von ihm eingeladene Künstlertrio: „Es ging mir auch darum, aus dem Zusammentreffen von einzelnen Künstlern eine Gruppe zu machen – mittels einer Wanderung. Und eine Wanderung geht weit über eine normale Zusammenarbeit von Künstlern hinaus. Ich behaupte, dass man das in den Arbeiten auch sieht.“

Entsprechend schrieb er ein Konzept, warb Geld ein; schließlich mussten nicht nur Material, Verpflegung und die Übernachtungen finanziert werden, sondern die Künstler sollten für ihre Arbeit auch bezahlt werden. Und obwohl die Stadt Kiel, das Land Schleswig-Holstein und die Brunswiker Stiftung schließlich einsprangen, reichte es nicht für die anfangs geplanten vier Wanderungen durch das Kieler Umland.

So wurden es nur zwei Projekte: Zwei russische Künstler und ein syrischer Kollege machten sich im April dieses Jahres auf den Weg. Die zweite Wanderung absolvierte im Juni eben Torben Laib und der heute in Österreich lebende Multiins­trumentalist Marc Reddmann, der mit dem Schlagheck einst in der Hamburger Punkcombo „Pommes Brutal“ ackerte. Plus der Zeichner Saleh Shaweesh, der vor zwei Jahren aus Syrien nach Kiel geflüchtet ist und der im März dieses Jahres bereits mit einer Einzelausstellung zu einem assyrischen Mythos vertreten war.

Dass gerade Saleh Shaweesh nun nicht die Rolle des „Flüchtlings vom Dienst“ einnehmen sollte, war schnell Konsens. „Flucht verbindet sich zwar immer mit Wanderung, aber man kann das nicht gleichsetzen“, sagt er selbst. Auch wenn ihn manche Momente bei der Wanderung an seine Flucht erinnert hätten. „Deine Gedanken gehen und kommen beim Laufen, du hast ja keine Garantie, dass es klappt. Du hast auch keinen Plan für jeden Tag – du hast nur ein Ziel. Und die Türen sind auf und du versuchst dein Glück.“

Torben Laib kann eine ganz andere und für ihn stimmige Assoziation beim Schlagwort „Flucht“ benennen: „Die einzige Flucht, die ich vorweisen kann, ist die aus den geregelten Familienverhältnissen, in denen ich aufgewachsen bin, hinein in die Kunstwelt.“

Wobei die Künstler im Nachhinein auch etwas scheinbar Profanes sehr beschäftigt: die Schmerzen beim Wandern. Also die Druckstellen auf den Schultern und an den Hüften und vor allem an den Füßen. Denn alle hatten sie mit den Folgen und Qualen der täglich bis zu 25 Kilometer langen Wanderungen durchaus zu kämpfen. Mussten immer wieder pausieren, die Füße kühlen, sie mit Penatencreme verarzten und irgendwann langsam wieder weiterwandern.

Das Selbstvergessene beim Wandern, das Freudige, das Durch-den-Tag-Gehen sollte seinen Platz haben

Außerdem half Musik – und zwar klassische Wanderlieder. „Du fängst an zu überlegen, was kennst du noch an Liedern, und dann kommen die Klassiker, an die man sich zunächst nur bruchstückhaft erinnert. Aber langsam fallen einem gemeinsam die Strophen wieder ein, die man dann singt“, erzählt Torben Laib. „Wobei es auch ein wenig absurd war, wenn man sah, wie Torben mit seinen Dreadlocks nun deutsche Wanderlieder schmetterte“, ergänzt Schlagheck.

Auch Saleh Shaweesh konnte ein Lied beisteuern: ein arabisches. „Es erzählt eigentlich vom Rudern, aber auch davon, dass man einfach weiterrudern muss, wenn man weiterkommen will“, sagt er. „Das wurde dann unser Powertrack“, ergänzt Torben Laib. So habe die Wanderung die Gruppe tatsächlich zusammengeschweißt. „Und geschwitzt haben wir auch viel.“

Nach vier Tagen zurück in Kiel-Gaarden, ging es dann eine Woche lang ans Konzipieren und dann ans Aufbauen. Wobei man zusammenblieb und weiter zusammen übernachtete, dafür auch mal den Schlafsack in der Galerie ausrollte: „Die Wanderung hat erst mal nicht aufgehört, sondern ist weitergegangen“, beschreibt Torben Laib die Galerieatmosphäre.

Er holte schließlich die Landschaft hinein in den Galerieraum und baute einen betretbaren Steg aus Kanthölzern, Bauholz und Grassoden. Und ein alter Regenschirm, ein geschätztes Erbstück seiner Großmutter, den er bei der Wanderung stets für den Fall des Falles dabei hatte, kreiselt nun über einer Ansammlung toter Schlangenkörper, die er mitgebracht hat: „Die erste tote Schlange hat Detlef einfach so auf dem Weg gefunden, die zweite auch, aber dann hatte ich den Blick für totgefahrene oder ausgetrocknete Schlangen.“

Außerdem sind da die intensiven, großflächigen Zeichnungen von Saleh Shaweesh: Einige hat er im stillen Kämmerlein gemacht, andere zeichnete er am Eröffnungsabend zur Livemusik von Marc Reddmann.

Wie das aussah, ist nun auf einem Monitor zu sehen. Überhaupt ist Saleh Shaweesh dabei, seine Kenntnisse in puncto Film, Videoschnitt und Vertonung zielgerichtet auszubauen. Derzeit absolviert er einen Fortbildungskurs bei Radio Gaarden, einem freien Radioprojekt, mit dem die K34 freundschaftlich verbandelt ist. Und das gleich um die Ecke liegt.

Bis 27. 7., Kiel, K34 (ehemaliger Schlecker-Markt), Medusastraße 14). Geöffnet Di–Do, So, 15–18 Uhr. Infos: www.k34.org