: Mit Tandem gegen das Stigma
Empowerment Menschen mit Depressionserfahrung fahren 3.200 Kilometer mit dem Tandem, um gegen Stigmatisierung zu protestieren
Maria, 38-Jährige mit depressionserfahrung
Die tief liegenden Tandems sehen schnittig aus und fallen mit ihren robusten weißen Rahmen und dem Schriftzug „mut-tour.de“ gleich auf. Und sie sind echte Lastesel: „Mit Gepäck und Besatzung kommen da schon bis zu 250 Kilo zusammen“, schätzt Sebastian Burger. Der 37-Jährige ist Initiator der „Mut-Tour“, die am Montag vom Bremer Marktplatz aus gestartet ist. Zunächst auf Rädern und später auch in Zweier-Kajaks und zu Fuß bewegen sich die Teilnehmer bis zum 26. August durch Deutschland und werben dabei für einen offenen Umgang mit der Depression als Erkrankung.
Unter den Aktiven sind Menschen, die aus Solidarität mitfahren, und solche, die bereits Erfahrungen mit Depressionen gemacht haben. „Alle zusammen erleben, wie leistungsdruckfreier Sport, Struktur, Natur und Gemeinschaft die Stimmung heben“, sagt Burger, der erstmals vor fünf Jahren eine Tour gestartet hat. Bis heute haben sich 126 depressionserfahrene und -unerfahrene Frauen und Männer beteiligt und dabei mehr als 22. 000 Kilometer zurückgelegt.
In diesem Jahr sollen in Trägerschaft der Deutschen Depressionsliga als bundesweit engagiertem Betroffenenverband auf dem Weg durch die meisten Bundesländer noch einmal 3.200 Kilometer dazukommen. 45 Teilnehmer haben sich angemeldet.
Unter ihnen ist auch die 38-jährige Maria, die nach der Geburt ihres Kindes und einige Jahre später depressive Phasen erlebt hat. Die sportliche Frau schätzt den heilsamen Beitrag der Bewegung in Gemeinschaft und besonders die Idee, mit Tandems loszufahren. Die Tour auf den Rädern tut ihrer seelischen Gesundheit gut, auch, weil sie über Krisen hinweg hilft. „Gibst du nicht auf, gebe ich nicht auf – es geht darum, den Alltag mit der Hilfestellung anderer zu bewältigen“, sagt sie.
Nach Angaben der Stiftung Deutsche Depressionshilfe gehören Depressionen zu den häufigsten und am meisten unterschätzten Erkrankungen. Insgesamt erkranken demnach in Deutschland jährlich mehr als fünf Millionen Menschen an einer behandlungsbedürftigen Depression, die oft aber nicht gut therapiert wird. Die große Mehrheit der jährlich etwa 10.000 Suizide und rund 150.000 Suizidversuche in Deutschland passiert nach einer nicht optimal behandelten Depression.
„Seit vier Jahren geht es mir sehr gut“, sagt Maria, die glücklich darüber ist, dass sie sowohl in ihrem privaten wie in ihrem beruflichen Umfeld offen mit ihrer Krankheit umgehen kann. „Es ist ein Jammer, dass das oft nicht möglich ist“, sagt sie. Bei ihr im Betrieb gebe es keine Missgunst, keine verurteilenden Kollegen, niemanden, der sie schneide, weil sie „eine Macke“ habe. „Das ist ein großer Luxus“, betont die junge Frau, die schon mehrfach an der „Mut-Tour“ teilgenommen hat.
Das Tabu brechen, über die Krankheit reden, gegen die Stigmatisierung depressiver Menschen angehen – das sind Ziele der Tour, die Sebastian Burger ins Leben gerufen hat, nachdem er selbst erlebt hat, wie es einer Freundin ging, die 2007 an einer Depression erkrankte. Sie fürchtete um ihren Job. Viele Betroffene verlören Freunde und gerieten sozial in die Isolation, was die Krankheit zusätzlich verstärke, warnt er: „Das Stigma, dem sie damals ausgesetzt war, hat mich empört.“
Zum Auftakt radelt eine zwölfköpfige Gruppe zunächst eine Woche los. Dann werden die Tandems an die nächsten Teilnehmer übergeben. „Wir kommen raus aus dem Rückzug, aus der Isolation, sorgen für uns selbst“, sagt Maria. Übernachtungsplätze sind keine gebucht. „Mal sehen, wo wir heute Abend landen, wir haben ja Zelte dabei“, sagt sie lächelnd. Ganz schön mutig. (epd)
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