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PortraitGernegroß aus der Weltstadt

Am Freitag schien Olaf Scholz auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere angekommen – zwischen lauter echten Regierungschefs saß er in der maßgeblich durch sein Zutun fertiggestellten Elbphilharmonie und lauschte Beethovens „Ode an die Freude“. Erst durchs Opernglas war an seinem verkniffenen Gesicht zu erkennen, dass die Freude nicht recht überspringen wollte. Das lag daran, dass draußen gleichzeitig ein Tiefpunkt seiner politischen Kar­rie­re stattfand: Die Stadt brannte, und die Polizei sah hilflos zu.

Zwei Tage später sagte Scholz, er habe „mit der Kanzlerin über eine Entschädigung“ für die Gewaltopfer gesprochen. Damit wollte er zu verstehen geben, dass Angela Merkel die Weltenlenker nach Hamburg eingeladen hatte und deshalb auch für die Krawalle zumindest mitverantwortlich ist. Das ist aber, wie so oft bei Scholz, nur die halbe Wahrheit, denn er liegt der Bundesregierung seit Jahren damit in den Ohren, dass er gern einmal ein wichtiges internationales Treffen veranstalten würde.

Das ist Teil von Scholz’ Strategie: Angesichts schrumpfender Umschläge im Hafen soll die Stadt für Touristen und Investoren attraktiv gemacht, ja eigentlich: zur der Weltstadt aufgehübscht werden, die sie für viele Hamburger schon immer war. Die Elbphilharmonie ist nur ein Baustein, der Höhepunkt hätten die vom Volk gekippten Olympischen Spiele werden sollen. Es geht um Standortmarketing. Aber auch um den unbedingten Drang, persönlich Spuren zu hinterlassen.

Der 59-jährige Scholz ist mit der Lokalpolitik chronisch unterfordert. Er leidet unter der Debattenqualität in der Hamburger Bürgerschaft. Der Jurist arbeitet meterweise Akten lieber selbst durch, weil er den Juristen der eigenen Verwaltung misstraut. Scholz ist ein Kon­troll­freak. Dass der frühere Arbeitsminister überhaupt noch in Hamburg ist, liegt daran, dass er seine Hamburger SPD samt den Grünen perfekt im Griff hat. „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie“, sein Credo. Er duldet keine Fehler, bezeichnete sich selbst sogar mal als „rachsüchtig“.

Gerade das macht es für ihn so schwierig, jetzt nach dem Gipfel Fehler einzugestehen. Deshalb sagt er: „Die Polizei hat alles richtig gemacht.“ Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Und weil er als scharfer Analytiker nicht umhinkönnte, als Quelle dieser Fehler seinen eigenen Irrtum auszumachen, der Gipfel sei in Hamburg sicher auszurichten. Jan Kahlcke

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