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Wer selbst recherchiert, bekommt Ärger

Medien In Myanmars Rakhaing-Staat ist die Bericht-erstattung für Journalisten unter der demokratisch gewählten Regierung nicht einfacher geworden

Von Min Min

Als Journalist, der in Myanmars westlichstem Bundesstaat Rakhaing (früher: Arakan) lebt und arbeitet, muss ich äußerst vorsichtig sein, fair zu berichten. In Rakhaing, wo die Menschenrechte jüngst so zahlreich verletzt wurden, sind Parlament, Regierung und Behörden in den Händen der Mehrheitsethnie. Die muslimische Minderheit, die sich Rohingya nennt, hat nur wenig Freiheit, ihre Meinung zu sagen. Sicherheitskräfte beobachten uns Journalisten auf Schritt und Tritt. Sie dürfen sogar unsere Kameras beschlagnahmen und Bewegungsfreiheit einschränken.

Schon Kindern wird beigebracht, dass Buddhisten und das Volk der Rakhaing höher stehen als andere Religionen und Völker. Wer als Einwohner versucht, für Menschenrechte, soziale Vielfalt und gleiche Rechte einzustehen, wird als Feind und als „Verräter am eigenen Volk“ diffamiert. Sie wollen jeden beseitigen, der sich weigert, die ultranationalistische Idee der Ra­khine zu akzeptieren.

Die UNO, die Organisation Human Rights Watch und andere werfen Myanmar vor, die Menschenrechtsverstöße im Rakhaing-Staat zu vertuschen. Die Meinungsfreiheit ist in Gefahr. Journalisten sind zahlreichen Herausforderungen ausgesetzt, wenn sie über politische Ereignisse berichten wollen. Sie werden bedroht, und die Behörden schauen tatenlos zu. Die Atmosphäre für Reporter ist sehr gefährlich.

Myanmar (Birma)

Präsidialdemokratie mit starken Sonderrechten des Militärs (Präsident Htin Kyaw seit 1. 4. 2016)

Informelle Regierungs­chefin: Aung San Suu Kyi

Amtssprache: Birmanisch

Einwohner: 51,5 Millionen (davon in Prozent: Birmanen 68, Shan 9, Karen 7, Rakhine 4, Chinesen 3, Inder 2, andere 5. Buddhisten 87,9, Muslime 4,3, Christen 6,2, Hindus 0,5

Bevölkerungsdichte: 76/qkm

Pro-Kopf-BIP: 832 Dollar

Armutsrate: 32,7 Prozent

BIP-Anteil in Prozent: Landwirtschaft 36,1, Industrie 22,3, Dienstleistungen 41,6

„Zu welchem Volk gehörst du, welche Religion hast du?“ Dies muss sich jeder Journalist und jede Journalistin fragen lassen, wenn sie oder er versuchen, Parlamentarier, Beamte und sogar Mitarbeiter von Organisationen der Zivilgesellschaft zu interviewen. Ich muss antworten: „Selbstverständlich bin ich ein Rakhaing-Buddhist.“ Würde ich etwas anderes sagen, könnte ich das Interview vergessen.

Dann wird der Gesprächspartner fragen: „Du bist ein Rakhaing, also weißt du, was ich sagen will, nicht wahr?“ Manchmal zwinkern mir die Interviewten zu, um zu zeigen, dass wir doch wohl einer Meinung sind, oder? Für einen politischen Journalisten wie mich ist das enttäuschend, ja unethisch.

Wie schwierig die Lage für Journalisten ist, zeigt dieser Fall: Um sieben Uhr morgens am 3. Mai 2017 heulten in Sittwe, der Hauptstadt von Rakhaing, die Sirenen. Es brannte im muslimischen Viertel. Ich versuchte die Behörden zu erreichen, um mehr zu erfahren, doch ein Beamter erklärte: „Die Facebook-Seite des Staatsratsbüros wird einen Bericht veröffentlichen, warten Sie. Wenn Sie auf eigene Faust berichten, hat das für Sie unerwünschte Konsequenzen.“

Tatsächlich erschien später auf der Facebook-Seite ein Bericht: Eine überhitztes Solarpanel habe den Brand verursacht. Am nächsten Tag wurde der Hausbesitzer festgenommen, Journalisten durften nicht zum Brandort. Es bleiben Zweifel: Wie kann sich ein Solarpanel in der Nacht so stark erhitzen, dass ein ganzes Haus abbrennt?

Unter der von Aung San Suu Kyi geführten Regierung bleibt uns meist nichts anderes übrig, als uns auf die Facebook-Seite des Staatsrats zu verlassen. Wenn Journalisten auf der Basis eigener Recherchen berichten, bekommen sie es mit der Regierung zu tun. Das Ergebnis: Unterdrückung und Diskriminierung.

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