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Europas neue Grenze

Niger ist das zweitärmste Land der Welt – und der wichtigste Transitstaat in der Sahara. Hunderte Millionen fließen jetzt dorthin, um die Schlepper zu bekämpfen

Tänzerinnen begrüßen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Oktober 2016 in Niamey, Niger Foto: dpa

Von Albert Chaibou

Mit Millionensummen hat die EU den armen Wüstenstaat Niger dazu gebracht, sich der Migrationsbekämpfung anzuschließen. Das Land soll den 2015 beschlossenen „Aktionsplan von Valletta“ umsetzen. Dieser sieht vor, gegen Fluchtursachen, Menschenschmuggel und Menschenhandel vorzugehen, Migranten sollen wieder aufgenommen werden. Als Motivationshilfe bekommt Niger dafür in den nächsten fünf Jahren bis zu 700 Millionen Euro, um sich am Kampf gegen „irreguläre Migration“ zu beteiligen. Daneben gibt es weitere bilaterale Abkommen mit Italien, Deutschland, Frankreich und Spanien – auch diese sind teils mit Zahlungen verbunden.

Die so erkaufte Politik steht in offensichtlichem Widerspruch zu den Interessen Nigers. Das Land ist Teil der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas, innerhalb derer freier Personen- und Warenverkehr herrscht. Unter Polizeikontrolle fuhren bislang von Agadez Pick-ups ab, die ganz vorschriftsmäßig als Migrantentransport registriert sind. Jetzt müssen repressive Sicherheitsmaßnahmen gegen Schlepper durchgeführt werden. Dahinter stehen die EU und die UN-Kriminalitätsbekämpfungsbehörde United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC). Die hat eine bis 2022 mit 24 Millionen Dollar ausgestattete „Regionalstrategie“ aufgelegt, die Transitländer wie Niger dazu bringen will, Menschenschmugglern den Weg zu versperren. Das zieht: Seit Kurzem gibt es in Niger ein Gesetz zum unzulässigen Menschenschmuggel, das hohe Strafen für den Transport von Migranten vorsieht.

Die EU hat den Aufbau eines sogenannten Aufnahme- und Transitzentrums in Agadez finanziert. In der von der UN-Migrationsagentur IOM betriebenen Einrichtung sollen Migranten davon überzeugt werden, sich nicht auf den Weg nach Europa zu machen. Wer erzwungenermaßen oder freiwillig aus Libyen zurückkehrt, kann dort Hilfe bekommen. Auch die Polizeiausbildungsmission der EU, Eucap-Sahel, hat einen Vorposten in Agadez aufgebaut. EU-Experten aus Brüssel und französische Polizisten sind nach Niamey und Agadez gereist.

Im vergangen Dezember hat die EU-Kommission Niger dafür beglückwünscht, dass weniger Migranten nach Europa kommen. Zwischen Mai und November 2016 soll die Zahl der Menschen, die die Sahara von Niger aus durchqueren, von 70.000 auf 15.000 gesunken sein. Hunderte Fahrer wurden verhaftet und als Schlepper vor Gericht gestellt, ihre Fahrzeuge beschlagnahmt. Neun Polizisten wurden inhaftiert, weil sie unter Korruptionsverdacht standen.

Ist es die Aufgabe Nigers, eine neue Grenze für Europa zu werden? „Wir sind es im Grunde genommen schon, denn es gibt keinen Rechtsstaat in Libyen. Um die Migration aufzuhalten, müssen die Länder des Nordens Gelder für Afrika geben, nicht nur Entwicklungshilfe, sondern auch direkte Investitionen“, sagte der nigrische Präsident Mahamadou Issoufou während des G-7-Gipfels im Mai in Sizilien.

Die Lokalpolitiker der Region Agadez, des wichtigsten Orts auf der Transsahararoute, beklagen sich indes, dass von dem Millionensegen nichts bei ihnen ankommt. „Wir sind es leid, auf die Hilfen zu warten“, sagt Regionalrat Mohammed Anacko. „Jeden Tag werden uns Milliarden Francs angekündigt. Es gibt keine Woche, in der wir nicht irgendeine ausländische Delegation empfangen. Aber bis heute ist kein einziger Franc zum Vorteil der Region im Rahmen dieses Kampfs gegen die Migration geflossen.“

Albert Chaibou, 55, ist Filmemacher und Journalist. Er arbeitet bei dem Portal Alternatives Espaces Citoyen in Niamey (Niger).

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