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Von 1989 lernen

Als die Berliner Mauer fiel, hat Samir Abi aus Togo, der einstigen deutschen Kolonie, Europa bewundert. Heute sei es Europa, das Mauern in Afrika baut

Eine vom Autor organisierte Gedenkaktion für die toten Migranten im Mittelmeer, Strand von Lomé, Togo, Oktober 2016 Foto: privat

Von Samir Abi

Mehr als ein Vierteljahrhundert nach ihrem Fall ist die Berliner Mauer noch fest im Gedächtnis als eines der wichtigsten Phänomene des vergangenen Jahrhunderts. Die Scham und das Leid, das die Mauer verursacht hat, und die offensichtliche Freude über ihre Zerstörung bleiben in der Erinnerung haften. Auch in der Erinnerung von uns Afrikanern.

Als die Mauer fiel, 1989, war ich noch sehr jung. Ich habe in Togo gelebt und Europa bewundert: seine freiheitlichen Werte und seine Demokratie. Und wie bei vielen jungen Togoern kam die meiste Bewunderung Deutschland zu.

Der Zufall der Geschichte hat es so gewollt, dass mein Land Togo von deutschen Kolonialisten so genannt wurde. Auf den Spuren anderer europäischer Staaten, die afrikanische Länder eroberten, hat der damalige deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck Gustav Nachtigal entsandt, um „Kooperationsverträge“ mit den Königen auszuhandeln, die in jenem westafrikanischen Land lebten, das von den Deutschen später „Togoland“ benannt wurde. So begann die Geschichte des Landes „Togo“, dessen Pass ich heute besitze.

Obwohl Togo später eine französische Kolonie wurde, haben die Deutschen das Land geprägt. Wir verdanken Deutschland die wichtigsten Nationalstraßen, das Eisenbahnnetz, die Hauptstadt Lomé. Trotz der brutalen deutschen Truppen, die all jene schikanierten, die die „Kooperationsverträge“ mit den europäischen Eindringlingen nicht unterzeichnen wollten, haben die Togoer die deutsche Gründlichkeit und ihren Pragmatismus bei der autonomen Verwaltung ihrer „Vorzeigekolonie“ im Hinterkopf behalten.

Wenn ich in diesen Tagen nach Europa kommen, um in Berlin über Migration und Entwicklung zu sprechen, dann habe ich diese gemeinsame koloniale Vergangenheit mit den Deutschen immer im Kopf.

In der jüngeren Vergangenheit war Deutschland auch das europäische Land, das die Togoer am meisten beim Kampf um die Demokratisierung unterstützt hat. Viele Oppositionelle aus Togo fanden in Deutschland Zuflucht vor der Repression der Terrorjahre in den 1990ern – auch wenn sie große Schwierigkeiten hatten, ihr Bleiberecht durchzusetzen. Sie hörten auch in Deutschland nicht auf, für eine demokratische Wende in Togo zu kämpfen. Aus Geflüchteten wurden Migranten, die mit ihren Geldtransfers heute jedes Jahr mit zehn Prozent zum togoischen Bruttoinlandsprodukt beitragen.

Die Erinnerungen an diese Vergangenheit werden jetzt aber ersetzt: durch Bitterkeit wegen der Mauern, die Deutschland im Moment in Afrika aufbaut.

Die Abschiebung unzähliger Togoer und die massive Ablehnung von Visa für Togoer, die nach Deutschland einreisen wollen, belasten das Verhältnis zwischen den Nachfahren „Togolands“ und Deutschland. Auch die jüngste Annäherung zwischen Lomé und Berlin hat die Leidenschaft für Deutschland in Togo abgekühlt. Denn der Wunsch der deutschen Regierung, wirtschaftlich in Afrika Fuß zu fassen, ohne dabei auf eine demokratische Verwaltung und die Wahrung der Menschenrechte in den afrikanischen Ländern zu achten, mit denen es erneut „Kooperationsverträge“ schließen will, wird von der Zivilgesellschaft in Deutschland genauso wie in Afrika kritisiert.

Der neue „Marshallplan mit Afrika“, den Deutschland bestimmten Ländern vorschlägt, ist ein weiterer Schritt zurück in koloniale Zeiten: Auch damals war die Suche nach neuen Absatzmärkten das Schlüsselwort für die Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika. Heute entstehen Mauern auf dem afrikanischen Kontinent, bezahlt von Europa. Sie sollen dafür sorgen, dass die Afrikaner nicht dorthin reisen können, wohin sie wollen. Und oft bedeutet das, ihr Land nicht verlassen zu können. So müssen wir also von 1989 lernen.

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Samir Abi, Ökonom aus Togo, leitet das westafrikanische Dokumentationsnetzwerk Visions Solidaires in Lomé.

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